Rising Star James Newby überzeugt mit bewegendem LIederabend in der Elbphilharmonie

28. Januar 2023

Rubrik Konzert

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie

Viele Sterne am Firmament sind oftmals nur strahlende Lichter, die von einer Sekunde auf die andere ungesehen verglimmen. Nicht so der britische Bariton James Newby, der in der Kategorie Rising Star am heutigen Abend in der Elbphilharmonie einen Liederabend erster Güte mit bleibendem Eindruck darbietet.

 

Zusammen mit seinem Liedbegleiter Joseph Middleton, der sich als einfühlsamer "Partner in Crime" bereits mit den etabliertesten Liedinterpreten auf internationalem Bühnenparkett bewiesen hat, gelingt eine der eindrucksvollsten Interpretationen von Schuberts "Die schöne Müllerin".

 

Doch zuvor erklingt ein Auftragswerk der britischen Komponistin Judith Bingham, die mit einer Vertonung von Texten aus den Memoiren des Frauenhelden Giacomo Casanova eine tondichterische Punktlandung hinlegt.

 

Eigens für das "Rising-Star-Programm" komponiert und dem jungen Briten dafür extra auf den Leib geschneidert, erlebt man mit dem Recital "Casanova in Lockdown" zeitgenössische Tonmalerei, die in einem modernen musikcharakteristischen Kontext verhaftet, ausdrucksstarke Erzählkraft, emotionale Tiefe und klangmalerischen Farbenreichtum miteinander vereinen.

 

Und Newby weiß ganz genau, an welch vokalen Strippen er ziehen muss, um das Publikum von Anbeginn der Veranstaltung bis zu seinem höhepunktreifen Ende vollends in seinen ungeteilten Bann zu ziehen - ganze 80 Minuten lang, ohne Pause und ohne dabei auch nur eine Sekunde lang ins Straucheln zu geraten oder gar zu schwächeln.

 

Mit immenser stentoraler Kraft, leidenschaftlicher Verve und einem Liedbegleiter, der es auf gekonnt charmante Art versteht, aufkommende Applausstürme während der zyklischen Liedreise resolut klaviertuos im Keim zu ersticken, wird der Liederabend zu einer musikalisch intimen Ménage-à-trois, in der Publikum, Liedbegleiter und Liedsänger im Einklang miteinander schier zu verschmelzen scheinen.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie

Erwartungsvoll fiebert man jedoch, noch bevor überhaupt die ersten Akkorde am Klavier erklingen, auf die bevorstehende Gesangsdarbietung hin.

 

Lange soll es nicht dauern, bitten lassen tut er sich schon gar nicht, dann schmettert sich der stimmgewaltige Barde in einen großartigen Rausch überschwappender Gefühle.

 

Schließlich ist er, wenn auch nur für die 10-minütige Dauer des "Casanova in Lockdown" Recitals, der frauenumschwärmte Held Casanova, der sich wegen seiner lasterhaft sündigen Frauengeschichten im Arrest wiederfindet und von dort aus seine abenteuerlichen Liebschaften auf das Genüsslichste memoriert.

 

Was für ein unwiderstehlicher Schwerenöter!

 

James Newby sprüht vor Elan und scheut sich keine Sekunde lang, dem aufregenden Werk und seinem Protagonisten eine emotionale Vielschichtigkeit zu verpassen, die es wahrlich in sich hat. Über die Stimme, die immer wieder aus lyrisch zarten und duftig eleganten Höhen in die tieferen Niederungen ausdrucksstarker Vokalkraft abdriftet, ist alles dabei, was das Vokalinstrument des ausdrucksstarken Liedinterpreten hergeben kann. Und das ist tatsächlich eine breite Palette klangschöner Farben.

 

Vollmundig und mit einer intensiven Saturation durchwirkt klingt es ganz besonders dann, wenn Newby seine Muttersprache bemüht. Wogen melodisch satter Klänge treffen dabei auf eine besonders saubere Artikulation, die nicht übertrieben diktionär daherkommt, sondern lediglich dem sprachlichen Wohlklang und der Textverständlichkeit dient.

 

Man versteht wirklich jedes einzelne Wort, das Newby singt. Doch nichts dabei macht den Eindruck, unnatürlich, übertrieben affektiert oder gar aufgesetzt zu wirken.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie

Auch dann nicht, als es ans Eingemachte der hohen Liedkunst im deutschen Fach geht. Deutsche Sprache, schwere Sprache! So würde man mutmaßen, wenn man durch die muttersprachlich begünstigte Sängerzunft verwöhnt auf einen jungen Briten blickt, der selbstverständlich mit all seinen sprachlichen Ecken und Kanten unvoreingenommen ebenfalls gehört werden will.

 

Doch kein Grund zur Sorge: James Newby beherrscht auch dieses Fach und könnte glatt - bis auf ganz kleine sprachliche Schnitzer - als Muttersprachler durchgehen. Viel beeindruckender als Textverständlichkeit und sprachliches Ausdrucksvermögen ist jedoch die Emotionalität, mit der sich James Newby wie selbstverständlich in die Untiefen der deutschen Seele vorwagt.

 

Fast atemlos lauscht man mit jedem weiteren Wort staunend, entzückt und überaus vereinnahmt von einer gesanglichen Darbietung, die alles aus sich herausholt. 

 

Immerzu hört man die Mühle am rauschenden Bach und lauscht der leisen Seelenpein des einsamen Wanderers, der sich unglücklich in die schöne Müllerin verliebt und so schmerzerfüllt vor sich hin leidet, als ein Jäger sich erfolgreich zwischen die werbenden Versuche des jungen Mannes drängt.

 

Aus Newbys Stimme konturieren sich sowohl positive als auch negative Gefühlszustände deutlich heraus. Mal verliert sich der Bariton in Zuversicht und Heiterkeit. Mal überkommen ihn Wut, Leid und Trauer.

 

Am bitteren Ende nimmt sich der Wanderer das Leben. Und Newby kämpft! Nicht mit seiner Stimme, aber sichtlich ergriffen mit seinen eigenen Gefühlen. Mit geschlossenen Augen und einem gequälten Gesichtsausdruck lauscht er hoch konzentriert den letzten verblassenden Akkorden, die Joseph Middleton in tiefer Versunkenheit mit einem Höchstmaß an zarter Beseeltheit verlauten lässt.

 

©Daniel Dittus / Elbphilharmonie

Mit Leib und Seele, mit vollem Körpereinsatz, aus tiefstem Herzen an die Oberfläche katapultiert und ins Publikum geschüttet: James Newby versteht es, dem Kunstlied eine erfrischend lebendige Facette abzugewinnen, ohne dabei maßlos zu sein oder gar über das Ziel hinauszuschießen.

 

Doch was wäre der Liedgesang ohne die untermalende Kraft der fingerfertigen Virtuosität, die Joseph Middleton an diesem Abend zur Schau trägt. Gewaltige emotionale Temperaturen schlagen auf einen ein, wenn man seine Aufmerksamkeit teilt und sie ebenfalls auf das Klavierspiel des Briten lenkt.

 

Es sind die Zwischentöne. Es sind die Verknüpfungen, die Übergänge von einem zum nächsten Lied und besonders das erzählerische Potenzial, dass dem Gesang tatsächlich erst Flügel verleiht.

 

Wenn es einer versteht, Gesang auf Händen zu tragen und das wirklich Beste aus einer tonpoetischen Dichtung herauszuholen, dann ist Joseph Middleton ganz klar der Meister am Klavier und der Mann für das Gestalten von Bildern, Klangfarben und emotional spannungsgeladenen Temperaturen.


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