Aus dem fiktiven Tagebuch der Clara Schumann

04. April 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Hadi Karimi / 3D-Sculpturing mit Maya - Portrait Clara Schumann 1856

Liebes  fiktives Tagebuch,

 

manchmal frage ich mich, ob nicht alles anders gekommen wäre, hätte ich damals meinen Ehemann Robert nicht getroffen? Robert Schumann, der Komponist, der Romantiker, an den ich mein Herz schon in sehr jungen Jahren verloren habe.

 

Frauen meines Standes, so behauptet man, haben es grundsätzlich leichter, es im Leben zu etwas zu bringen, als all die anderen armen Seelen, die in Vernunftehen gefangen, abhängig oder gar für immer verloren sind.

 

Für mich gab es nur das eine: aus Liebe zu ehelichen. Und nur aus Liebe. Und so tat ich es. Gegen den Willen meines Vaters sollte ich die Frau von Robert Schumann werden, acht Kinder auf die Welt bringen und mich zwischen meiner Bühnenkarriere als Pianistin, meinen kompositorischen Aspirationen, den mir oftmals leidigen Haushaltspflichten und meiner großen Liebe Robert zerreißen.

 

In all den Jahren, in denen ich mich für meine Familie vierteilen musste, bereute ich nicht, was ich tat. Ich tue es auch jetzt nicht, obgleich ich fühle, dass all die ungestillte Kreativität in mir nach draußen drängt, gelebt und erfahren werden will und sie dennoch nicht kann, wie sie will.

 

Das Komponieren fällt mir mittlerweile immer schwerer. Es ist ein ewiges Wettrennen mit der Zeit, die scheinbar gegen mich ist, denn ich spüre, dass ich mich den Herzensangelegenheiten meiner inneren Welt nur eingeschränkt widmen kann.

 

Natürlich liebe ich die Konzertreisen und die Anerkennung, die mir als gefeierte Pianistin zuteilwird. Doch das schlechte Gewissen, meine Familie dabei vernachlässigen zu können, reift von Engagement zu Engagement stärker heran. 

 

Und dennoch: Ich verdiene das Geld, ich halte die Familie zusammen, ich erschaffe uns ein lebenswertes Leben in finanzieller Sicherheit. Ist das nicht genug Opfer, das eine Frau erbringen kann?

 

Auch wenn Robert sein Bestes gibt, um als Komponist Fuß zu fassen, so sehe ich, dass seine Versuche allein nicht ausreichen, um uns ein sorgenfreies Dasein zu ermöglichen.

 

Mit meiner pragmatischen Berufung kann ich uns das familiäre Nest warm, trocken und geborgen halten. Von Roberts Kunst können wir uns leider immer noch nicht viel erlauben. Noch nicht!

 

Ich hoffe aber und bete stets, dass Roberts geniale Kompositionen bald schon auf fruchtbaren Boden fallen und sein Erfolg uns den Geldsegen beschert, der uns das Leben angenehmer macht. Ich bin sehr stolz auf meinen begnadeten Mann, obgleich wir in letzter Zeit viel zu oft streiten.

 

Nicht wegen finanzieller Belange, sondern um meiner ungeteilten Aufmerksamkeit wegen, die ich besser meinen Liebsten widmen sollte. Doch auch ich, genauso wie Robert, brauche die Musik wie die Luft zum Atmen. Ich kann nicht anders und will meine Tage nicht ausschließlich am heimischen Herd im Kreise meiner Familie zubringen.

 

Vielleicht ist es falsch, als Frau so ein selbstbestimmtes, bigott freies Leben zu führen, wie ich es mir herausnehme.

 

Nur bin ich eine Musikerin, ein kreativer Geist und letztendlich ein Geschöpf von Gottes Gnaden, das weder nach Herkunft noch nach gesellschaftlichem Status oder Standesregeln fragt.

 

Auch ich möchte mir das Recht herausnehmen, obgleich ich nun mal eine Frau bin, mit meinen Kompositionen in der Welt zu wirken, um so der Nachwelt erhalten zu bleiben.

 

Ob mir das je gelingen wird? Ich habe große Angst, dass man mich bald schon vergessen haben wird. Ganz gewiss stirbt, wenn ich nicht mehr bin, auch die Pianistin Clara Schumann.

 

Werden aber meinen Kompositionen bis in die nächsten Jahrzehnte hinein oder vielleicht sogar noch über die kommenden Jahrhunderte hinaus nachhallen? Ich zweifle bitterlich daran und hege dennoch den Funken einer kleinen großen Hoffnung in mir!

 


Ich weiß noch genau, wie erfreut ich damals kurz vor der Euro-Wende war, als Clara Schumanns feingeistiger Charakterkopf schlußendlich auf der 100 D-Mark Note abgedruckt wurde.

 

Endlich zierte eine berühmte Frau und Komponistin den ach so blauen, wertigen Geldschein, obgleich ihre künstlerische Wertigkeit im Grunde kaum mit Geld aufzuwiegen war.

 

Denn Clara Schumann war ein musikalisches Genie, ein praktisch veranlagtes Multitalent und vor allem eine Multitaskerin auf allen Ebenen des alltäglichen Lebens.

 

Sie hatte acht Kinder großzuziehen, einen permanent kränkelnden Ehegatten und eine grandiose Karriere als virtuose Konzertpianistin.

 

Vor allem aber musste sie Geld verdienen, um den Lebensunterhalt für diesen enorm großen Haushalt zu bestreiten.  Robert Schumann, Ihr Komponistenehemann fühlte sich dazu nicht in der Lage.

 

Oft war er psychisch labil und viel zu selten konnte er sich mit erfolgreichen Engagements an renommierten Konzerthäusern rühmen.

 

©Hadi Karimi / 3D-Sculpturing mit Maya - Portrait Clara Schumann 1856

Ganz anders verlief da der Werdegang dieser bewundernswerten Frau aus gutem Hause.

 

Schon früh kristallisierte sich heraus, dass in der kleinen Clara Schumann eine überaus klaviertuose Begabung steckte. Ihr Vater, der aus seiner Tochter von Anbeginn eine erfolgreiche Konzertpianistin machen wollte, förderte die Begabung und kitzelte mit harscher Disziplin das Talent aus seiner Tochter heraus.

 

Und bingo! Die Saat reifte zu einer prachtvollen Ernte heran. Clara Schumann bekam, noch jung an Jahren, erste Engagements, verliebte sich währenddessen in den Schüler ihres Vaters - Robert Schumann - ehelichte ihn gegen den Willen des erzürnten Patriarchen und machte entgegen aller gesellschaftlichen Konventionen ihr eigenes, selbstbestimmtes Ding.

 

Angst schien sie nicht zu haben. Mut, Durchsetzungskraft und Disziplin kennzeichneten den Charakter dieser bemerkenswert stoischen Frauenpersönlichkeit.

 

Clara Schumann war, wenn man so will, der zu Fleisch gewordene Traum, nach dem insbesondere moderne Männer der heutigen Zeit schmachten würden. Oder vielleicht hätten sie sogar besonders viel Respekt vor so einer gebündelten Frauenpower.

 

Nicht so Robert Schumann, der sich oftmals über den Erfolg seiner aufstrebenden Karrieristengattin erboste.

 

Komponieren wollte in der Hauptsache er, sich ganz seiner Musik, der großen Kunst, widmen - am besten ungestört. Und Clara sollte alles andere richten, sich fügen, unterordnen und dafür weniger Konzerte bestreiten, sich einfach zurücknehmen in ihrem Bestreben, die musikalischen Erfolgslorbeeren ganz für sich alleine einzuheimsen.

 

Dabei brauchte die Pianistin aus Leidenschaft die Musik wie die Luft zum Atmen. Die Musik war ihr ganz großer emotionaler Anker und schon bald war Clara Schumann als Konzertpianistin so enorm gefragt, dass sie über die innerdeutschen Grenzen hinaus auch in Europa an allen renommierten Musentempeln der damaligen Zeit gastierte und ein aus dem "Koffer-Leben" führte, das an den heutigen Jetset erfolgreicher Musiker erinnert.

 

©Hadi Karimi / 3D-Sculpturing mit Maya - Portrait Clara Schumann

In ein gesellschaftliches eng geschnürtes Korsett ließ sich die willensstarke junge Frau weder von ihrem Ehemann noch von der Gesellschaft zwängen. Stattdessen nahm sie ihre Kinder auf Konzerttournee mit, vierteilte sich, um bildlich gesprochen mit mehreren Köpfen und Händen das kostspielige Leben der Familie zu besorgen.

 

Nur wer dankte es ihr zu Lebzeiten und auch danach jemals? Wurde das musikalische Erbe, das einzigartige Lebenswerk dieser enorm disziplinierten und engagierten Frau gebührend gewürdigt?

 

Eigentlich waren die Männer in ihrem Leben doch einfach nur froh, eine "Care-erprobte" Hausfrau, fürsorgliche Mutter und finanzstarke Geldverdienerin in einer Person vereint zu sehen.

 

Kümmerin und Karrieristin: Zwei paar Schuhe, die es unter einen Hut zu bringen galt und die selbst moderne Frauen in der Gegenwart nur mit Mühe und Not und oftmals auch nicht vollends im Alleingang ausfüllen können, füllte Clara Schumann bis zum Rand voll aus und wahrscheinlich oftmals sogar darüber hinaus.

 

Selbst nach dem Tod ihres Göttergatten hatte sie genug Energie und Tatendrang, sämtliche seiner gesammelten Tonwerke veröffentlichen zu lassen. Während ihrer konzertanten Schaffensphase sorgte sie sogar dafür, dass Robert Schumanns Klavierwerke regelmäßig konzertant von ihr dargeboten wurden, damit sie sowohl an Popularität gewannen als auch auf Ewig unvergessen blieben.

     

©Hadi Karimi / 3D-Sculpturing mit Maya - Portrait Clara Schumann

Bei dem Vollzeitjob dieser ausgesprochen wendigen Generalistin, man möge es anzweifeln oder auch nicht, blieb Clara Schumann selbst wenig Zeit, um ihr eigenes kompositorisches Erbe zu vermehren.

 

Immerhin 70 Werke, von denen man sagen kann, dass sie vor musikalischem Genie nur so übersprudeln, stehen der allumfassenden hochromantischen Werkenzyklopädie des Robert Schumann gegenüber.

 

Was heißt gegenüber? Lange Zeit stand die viel gerühmte Frau im dunklen Schatten des hochgelobten Komponisten Robert Schumann. Fast zwei Jahrhunderte wurde sie als legitime Komponistin kaum beachtet, geschweige denn gespielt.

 

Und das alles, obgleich Clara Schumann als Frau und Künstlerin ihren ebenbürtigen Männerkollegen gegenüber stets Toleranz, Respekt und Fair play zuteilwerden ließ.

 

Sie stand auf Augenhöhe mit den Herren der Schöpfung, spielte in derselben Liga wie sie und blieb doch als Komponistin immer bescheiden im Hintergrund. Zufrieden geben konnte sie sich damit sicher nicht.

 

Zumindest hatte die alternde Clara Schumann große Angst davor, als Künstlerin in Vergessenheit zu geraten, als Pianistin würde sich nach ihrem Ableben sowieso niemand mehr erinnern, so schwarzmalend schloss das Ausnahmetalent mit seinem Künstlerleben ab.

 

Zum Glück kam es anders, auch wenn es fast zwei Jahrhunderte brauchte.

 

Seit 1970 nahm sich die klassische Musikindustrie erstmalig wieder verstärkt der Werke dieser einzigartigen Persönlichkeit an. Clara Schumanns Lieder und Orchesterwerke werden seitdem konzertant zelebriert und einer breiten Öffentlichkeit regelmäßig und in aller Welt tonal nahe gebracht.

 

Aber hört man ihr musikalisches Vermächtnis tatsächlich auch oft genug? Ist ihre musikalische Stimme ein lauter oder leiser Nachhall im gegenwärtigen Musikgetriebe unserer Gegenwart?

    

©Hadi Karimi / 3D-Sculpturing mit Maya - Portrait Clara Schumann

Ganz sicher bin ich mir da nicht, denn wenn ich sehe, dass Robert Schumanns Musik gerade jetzt zum Anlass für eine gewagte Liebesliederreise zusammen mit den Werken von Brahms genommen wird, um einer romantischen Dreieckskonstellation der beiden Liedkomponisten und Clara Schumann zu gedenken, dann frage ich mich wohl zu Recht, warum Claras Liebeslieder in den Reigen der zwei großen tonmalerischen Dichter nicht hätten passgenau aufgenommen werden können?

 

Das Experiment wäre vielleicht mit etwas kunstschaffender Frauengenialität noch grandioser gelungen und hätte diese endlich mal in den Mittelpunkt des überlastet männerdominierten Klassikkosmos gestellt.

 

Doch während Robert Schumanns Werke weiterhin frenetisch gefeiert werden, so respektvoll applaudierend, ehrt man Clara Schumann, indem man ihre Werke überhaupt auf die Bühne bringt.

 

Wie wäre es wohl gekommen, wenn nicht sie als Zugpferd in der ehelichen Beziehung immer die Kohlen aus dem Feuer geholt hätte und stattdessen das Brotgeld von Robert Schumann verdient worden wäre?

 

Wäre dann wirklich alles so anders für Clara Schumann gelaufen, die klassische Musikwelt um eine virtuose Pianistin beraubt und um eine großartige und vor allem sichtbare Komponistin reicher geworden?

 

Wahrscheinlich hätte Clara Schumann bei dem "bisschen Haushalt" vor Unterdrückung und Langeweile der sichere "Bore-out" ereilt.

 

Womöglich wäre sie in der Versenkung verschwunden, unsichtbar, unselbstständig und in einer Männerwelt gefangen geblieben, selbst wenn man ihr das Komponieren zugestanden und ihr mehr "Freizeit" eingeräumt hätte.

 

Das Resultat - die Ernte ihrer musikalischen Arbeit - hätte wohl kaum bessere Früchte getragen.

 

Und die Frauenwelt der Gegenwart wäre ganz sicher um eine große emanzipatorische Wegbereiterin und ein geniales musikalisches Vorbild ärmer geworden.


Als ich anfing, an der emotional gefärbten, rein fiktiven Tagebuchkollage und dem musikhistorisch basierenden Artikel über Clara Schumann zu arbeiten, hatte ich eine besondere Vorstellung von dem Bildmaterial, das ich für meine Beiträge verwenden wollte.

 

Es sollten auf keinen Fall verblasste schwarz-weiß Fotografien, keine über die Jahrhunderte gealterten, schwer erkennbaren Portraits oder Kupferstiche der Künstlerin sein, sondern lebensechte und höchst gegenwärtige Darstellungen dieser zeitlosen Frau.

 

Dabei stieß ich per Zufall auf die grandiosen dreidimensionalen Bildskulpturen des iranischen Künstlers Hadi Karimi, der Clara Schumann zu einer atemlosen Lebendigkeit verhalf, die mich außerordentlich verblüffte und in großes Staunen versetzte.

 

Völlig von den Socken betrachtete ich die nahezu lebensechten Darstellungen, die auf mich wirkten, als wären sie just vor ein paar Minuten in einem Fotostudio entstanden. Clara Schumann in wangenrosiger Frische!

 

Ob mir das Angst macht, wage ich kaum zu entscheiden.

 

Faszinierend sind diese von Hadi Karimi kreierten 3D Modellierungen in jedem Fall. Schwer kommt man von ihnen los. Jedes Detail fesselt und will entdeckt werden.

 

Wie, nur wie hat er das gemacht?

 

Viele Stunden Arbeit, viel Fotorecherche, manchmal sogar die Totenmaske der verblichenen Künstler hinzuziehend und voilà, das Bildnis ward nicht nur bezaubernd schön, sondern so gut wie verzaubernd echt.

 

Weitere Informationen und Künstlerportraits finden sich unter folgendem Link:

 

www.hadikarimi.com


Kommentare: 0