Ein letztes Lied oder was bleibt, wenn eine Stimmkrise die Sängerkarriere überschattet!

11. September 2023

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©NIcole Hacke / Operaversum

Viele Menschen hören oftmals nur, was sie hören wollen, wenn sie in eine Oper oder ein Konzert gehen. Oft genug beklagen sie sich, wenn ihnen die Sänger in einer Vorstellung nicht gefallen haben, weil es entweder an stimmlicher Perfektion oder an emotionalem Ausdruck gemangelt oder vielleicht sogar an allem gefehlt hat. 

 

Fakt ist, jeder Künstler lebt in seiner eigenen emotionalen Welt, ist mit einem höchst individuellen Stimmmaterial ausgestattet und hat zudem eine fachliche Spezialisierung oder gar eine Generalisierung, in der er oder sie fachgebunden oder fachübergreifend unterwegs ist. Genau aus diesen Gründen gleicht kein Sopran dem anderen. Und weder Tenor noch Bariton oder Bass finden ihr identisches Pendent. Stimmliche Identitäten gibt es daher nicht. Somit kann man es auch getrost sein lassen, Vergleiche zwischen scheinbar "eineiigen Stimmzwillingen" zu ziehen.

 

Wissen sollte man jedoch, dass die menschliche Stimme - und das eint wirklich alle Sänger - verwundbar, fragil und vergänglich ist. Sie muss stets fit gehalten und regelmäßig trainiert werden, damit sie nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im gesetzteren Alter immer noch gut, ausdauernd und viril klingen kann.

 

Nichtsdestotrotz verändert sich die Stimme im Laufe eines Lebens. So wie sich die ersten Falten in unseren Gesichtern abzeichnen, die Spannkraft unserer Haut nachlässt und an der einen oder anderen Stelle sichtbar erschlafft, so bleibt auch der Stimme das Alter nicht wirklich erspart.

  

Nur wir Menschen unterliegen dem Wahn, dass alles so bleiben muss, wie es einmal war. Jung bleiben bis ins hohe Alter gilt als Ideal. Doch auch wenn wir uns gesund ernähren, viel bewegen und uns geistig stets fit halten, altern wir unaufhaltsam: Der eine schneller, der andere langsamer.

 

Und auch mit unserem Stimmorgan verhält es sich nicht unwesentlich anders. Es reift mit den Jahren, dunkelt nach, wird voller, klingt vielleicht sogar satter oder büßt an Glanz ein, dort, wo es an Höhe verliert. Doch mit jeder Falte in unserem Gesicht, die eine eigene interessante Lebensgeschichte erzählt, gewinnt auch die menschliche Stimme an Charakter, dort, wo sie dann wiederum an Schöngesang und Elastizität einbüßt.

 

Doch in einer Welt, in der erstrebenswerte Attribute wie Schönheit, Jugend und Strahlkraft zum Maßstab aller Dinge werden, können Charakter, Altersreife und Erfahrung kaum gewinnen. Wie also muss es sich für einen Sänger anfühlen, der alles erreicht hat und trotz fortschreitendem Alter singen soll wie ein junger Gott?

 

Ist das nicht eine verkehrte Welt, die genau diese Ansprüche an einen Sänger erhebt, der gegen seine Schwerkräfte irgendwann nicht mehr ankämpfen kann? Warum sollte er das auch?

 

Was ist mit der Zerbrechlichkeit, den Narben und den Rissen, die das Leben durch Erfahrung, Schmerz und Schicksal in eine menschliche Stimme reißt? Wie schön kann es entgegen allen Erwartungen klingen, wenn der Glanz, wenn der Lack von der oberen Schicht ab ist und die pure Essenz bleibt, ungekünstelt, unverfälscht und fehlbar - so wie wir Menschen eben sind, so wie wir Menschen wirklich sind. Unvollkommen!

 

Ist das nicht die eigentliche, die wahrhafte Schönheit, die uns das Leben ins Gesicht meißelt, uns konturierter, authentischer und nahbarer macht und unserer Stimme einen Ausdruck verleiht, die berührt, ja, zutiefst berührend ist?

 

Davon erzählt diese Geschichte!


Kapitel 1

Das Scheinwerferlicht brannte grell. Schweißperlen standen ihm heiß und fiebrig auf der Stirn. War heute sein letzter Auftritt? Er wusste es nicht. Schon lange konnte er nicht mehr sagen, ob das, was er da auf der Bühne tat, noch irgendeinen Sinn ergab.  

 

Von einer Stadt zur nächsten, von einem Auftritt zum anderen. Die Tage, Wochen und Monate rauschten mittlerweile unaufhaltsam wie zerrinnend feiner Staub durch ein Nadelöhr einer Sanduhr, die sein Leben repräsentierte. 

 

Alles hatte er für dieses Leben gegeben, es für ein einfacheres Glück geopfert, das er hätte in Frieden und Zurückgezogenheit mit den Menschen gestalten können, die ihm das meiste bedeuteten.  

 

Stattdessen aber ging er stur und mit Scheuklappen seiner Wege, die Wege des Ruhms, des Erfolgs, des strahlenden Rampenlichts, dieses gleißend schmerzhafte Licht, das ihn Jahre, ja, jahrzehntelang auf so magische Art und Weise angezogen hatte. Es war wie ein immer wiederkehrender Sog, der nicht von ihm abließ, ihn mitriss und ihn schließlich hart gegen sein Schicksal aufschlagen ließ.  

 

Seine Zeit war gekommen. Sie war um, abgelaufen. Die letzten verbleibenden Sandkörner seines Erfolges rieselten viel zu schnell und mit rauschender Wucht durch die enge Wand des durchsichtigen Gefäßes und schlugen unsanft auf dem zerbrechlich gläsernen Boden der Realität auf. 

 

Alt war er geworden, die jugendliche Strahlkraft dahin. Ein leiser, schluchzender Seufzer entwich seiner Kehle. Wehmut hielt seine Gedanken fest umklammert. Da war sie doch noch, die schöne, längst vergangene Zeit, nach der er so verzweifelt griff. Doch egal, wie sehr er sich auch abmühte, er holte die vor seinem inneren Auge verblassende Vergangenheit nicht mehr ein, er holte sie schlichtweg nie wieder zurück. 

 

©NIcole Hacke / Operaversum

Ein kalter Windstoß streifte seinen schweißgebadeten Rücken und ließ ihn fröstelnd erschauern. Irgendjemand hatte gerade die Tür zur Bühne geöffnet. Eine Stimme im Hintergrund bedeutete ihm hinauszutreten in das Licht, das ihm einst Geborgenheit vermittelte. Wie verhasst es ihm mittlerweile war, dieses gnadenlose, artifizielle Licht, in dessen Schatten er sich heute am liebsten verkrochen hätte. 

 

Doch das Publikum wartete auf seinen Künstler, erwartete, dass dieser für die horrenden Ticketpreise ablieferte. 

 

Was für ein Teufelskreis, dem er nun nicht mehr entkommen konnte. Über Jahre hatten sie ihn aufgebaut, die Agenten, die Plattenbosse, diese ganze vermaledeite Marketingmaschinerie, die allein für ihn in Gang gesetzt wurde, damit aus dem authentischen, unverwechselbar charismatischen Künstler eine höchst lukrative Personenmarke - ein echter Goldesel - werden konnte. 

 

Wie lange aber würden die Dukaten noch rollen? Wie lange musste er gute Miene zu diesem abgekarteten Spiel machen, dass, wenn er ehrlich zu sich selbst war, ganz und gar nicht sein Spiel war?

 

Während ihn diese Frage wie ein bösartiges Magengeschwür quälte, kreisten seine besorgniserregenden Gedanken bereits um das “Jetzt und Hier”. 

 

Würde seine Stimme heute Abend auf dieser Bühne halten, was sie ihrem Publikum noch vor wenigen Jahren zuverlässig und auf Abruf versprochen hatte? Konnte er genau das zweifelsfrei voraussehen?  

 

©NIcole Hacke / Operaversum

Er wusste es nicht. Nur der stimmliche Kraftakt, der zur immer größeren Hürde wurde, machte ihm mit jedem weiteren Auftritt stärker zu schaffen. Dabei kam er sich wie ein unfreiwilliger Marathonläufer vor, der nicht mehr in ausdauernd gleichmäßigen Fließbewegungen gut konditioniert auf sein Ziel hinarbeitete, sondern bereits auf halber Strecke erschöpft holpernd und gefährlich schlingernd auf die Zielgerade zusteuerte.

 

Gott sei Dank überwand er sie immer noch – gerade so eben. Doch wie lange noch? 

 

Er wusste es nicht. Es war zum Verzweifeln! 

 

Auf seine Stimme, die ihn selten in den vielen, vielen Jahren seines Erfolges im Stich gelassen hatte, war jetzt kein Verlass mehr. Sie konnte jederzeit willkürlich in der Sekunde einfach so wegbrechen, ihn verlassen, ihn ohne weiteres in der Kälte der Nacht eines einsamen Sängerdaseins stehen lassen. 

 

Und er hatte keine Macht, auch nicht mit der weltbesten Technik, diese Aussetzer vorherzusagen, geschweige denn sie zu kontrollieren und einigermaßen in den Griff zu bekommen. 

 

Alles, was er just in diesem Moment auf der Bühne tun konnte, war ruhig, konzentriert und technisch auf den Punkt zu sein, so gut es eben ging. 

 

Er atmete tief ein, pumpte seinen Lungen voll und blähte seine Bauchmitte so stramm auf, dass sein Gerüst, die Stütze seiner Stimme, zu einer uneinnehmbaren Festung wurde. Stark und unumstößlich. 

 

Im Auditorium war es nun mucksmäuschenstill, die Spannung zum Zerreißen. Man hörte nichts, noch nicht einmal die leisen Atemgeräusche des Publikums. Absolute Totenstille! 

 

©NIcole Hacke / Operaversum

Was erwarteten sie jetzt von ihm? Kurz schloss er die Augen, konzentrierte sich, um sich den Moment des Absprungs vorzustellen. Da stand er nun an dieser Bühnenrampe, wie an einem Abgrund, vor dem sich das imaginäre Nichts, ein in seiner Vorstellung gähnendes, tausend Meter tiefes, bodenloses Nichts auftat. Wenn er jetzt sprang, würde er dann fliegen oder ins Bodenlose stürzen? 

 

Noch einmal atmete er tief in seinen Bauchraum ein. Er würde fliegen, seine Stimme würde fliegen, er würde sich mit ihr in die tönenden Lüfte erheben und hinfort schweben. Alles andere war keine Option. 

 

Tapfer setzte er zum ersten Ton an, öffnete die Schleusen seiner Kehle, machte Brust, Herz und Seele weit. Und siehe da, gleichmäßig strömte es leicht und duftig aus ihm heraus. 

 

Auch die Folgetöne verselbstständigten sich mühelos zu einer Phrase, zu einer Serie von Phrasen, melodiös, irisierend, klangfarbenreich und von einer honiggoldenen Textur durchsetzt, so wie er es von seiner Stimme gewohnt war. Sie war da, sie gehorchte ihm, er konnte mit ihr machen, was er wollte, sie bezwingen, sie verführen. 

 

Sie war ganz sinnlich, anschmiegsam, samtweich und so flexibel, dass sie sich ihm bereitwillig wie ein biegsamer Frauenkörper entgegenstreckte. 

 

Alles war in diesen Sekunden möglich. Und er? Er schwamm erfüllt von Glückseligkeit auf einer zartschimmernden Woge tief empfundener aufrichtiger Freude. Es lief doch wie geschmiert. Es lief rund. Das Publikum reagierte auf ihn, auf seine Stimme, auf die Gefühle, die er so treffsicher mit ihr ins Publikum absetzte. 

 

Er war wieder ganz der Alte, der sich nicht ängstlich an seine Stimme klammern musste, wie noch vor ein paar Tagen bei einem vorangegangenen Konzert, das er verkrampft und steif, fast schon mit Gewalt, irgendwie bezwingen musste. Heute war er- so schien es ihm - frei, frei zu tun und zu lassen, was er wollte. Fast schon wähnte er sich in Sicherheit, da plötzlich passierte es - kurz nach der Pause während des zweiten Programmteils.

 

Schon wieder ein Patzer. Verdammt! So sicher war er sich gewesen, dass er heute unbesiegbar sein würde, dass er mit stimmlicher Urgewalt die Bretter der Welt aufs Neue eroberte.

 

©NIcole Hacke / Operaversum

Ob das Publikum im Saal irgendetwas bemerkt hatte?

 

Dezent räusperte er sich einmal, zweimal und noch ein drittes Mal. Dann nahm er erneut Anlauf, so als ob nichts geschehen wäre. Einfach so tun als ob. Diese Devise hatte er sich seit geraumer Zeit zu eigen gemacht. Schließlich half es nichts, die Nerven zu verlieren.

 

Ein Sänger, der seine Nerven verlor, war eh zu nichts mehr zu gebrauchen. Nicht dran zu denken, dass im Hintergrund der zahlreichen noch bevorstehenden Konzerttermine und Opernaufführungen Verträge lauerten, die bedient werden mussten. Für jeden Ausfall, den er zu verantworten hatte, wenn er nicht die Zähne gehörig zusammenbiss, würden hohe Konditionalstrafen fällig.

 

Warum ließ er sich aber auch immer auf fünf Jahre im Voraus den Terminkalender mit Auftritten so dermaßen zuballern, dass er selbst kaum noch wusste, wo ihm der Kopf stand.

 

Ruhig Blut! Viel schlimmer konnte es jetzt auch nicht mehr werden, als es schon war. Nur die Ruhe selbst, tief durchatmen und ganz souverän zur nächsten Arie ansetzen. Ein wenig zitterten ihm die Hände. Er war nervös und musste sich auf der Stelle beruhigen. Stress war das Letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte. Stress war das Allerletzte, was seine Stimme überhaupt vertragen konnte.

 

"Entspann Dich", versuchte er lautlos murmelnd sein aufgeregtes "Ich" zu beruhigen. Es half. Relativ schnell gewann er die Kontrolle über seinen Körper wieder und hatte sich auch mental einigermaßen gut im Griff, sodass er seinen Auftritt ohne auffällig große Verzögerung fortsetzen konnte. Scheinbar hatte keiner seine Angst, seine übergroße Angst vorm Versagen bemerkt.

 

Versagensängste konnte man sich als Sänger mit einer Weltkarriere auf dem Buckel nun wirklich nicht leisten. 

 

Achtsam, aber ohne weiter darüber nachzudenken, ob und wie er den Rest des Abends durchstehen würde, stimmte er die nächste Arie an. Für kurze Zeit hatte sich seine Stimme wieder gefangen. Elegant, strahlend und von leuchtendem Glanz, ganz so wie die Stimme seines jüngeren Ichs, vereinnahmte er seine Zuhörer mit klanglicher Magie. Eine Arie, eine zweite und eine Dritte. Dann aber zerstörte ein weiterer Patzer den tonalen Zauber ein für alle Mal.

 

Ein unüberhörbares Raunen ging durchs Publikum. Jetzt hatten sie es wirklich alle bemerkt, dass etwas mit seiner Stimme nicht in Ordnung war. Was würden Sie nach dem Konzert über ihn sagen oder gar schreiben?

 

Seine Stimme malträtierte ihn aufs Neue, so als ob es ihr Spaß machte, ihn die Kontrolle verlieren zu sehen.

 

Wann war das alles noch mal passiert? Wann hatte sich dieser gottlose Tag in sein bis dato perfektes Leben geschlichen. Und hätte er es kommen sehen müssen? Er konnte sich nicht entsinnen, jemals vorsätzlichen Raubbau mit seiner Stimmgesundheit getrieben zu haben. 

 

Vielleicht war er in den letzten Monaten ein oder zweimal unvorsichtig gewesen, hatte möglicherweise den einen oder anderen grippalen Infekt nicht richtig auskuriert und von der einen Konzertserie in die nächste verschleppt.

 

War das jetzt die Quittung für seine unachtsame Maßlosigkeit?

 

Ja! Maßlos war er schon immer gewesen. Das brachte die Liebe zu seinem Beruf so mit sich, zumindest was seine Person betraf. Er liebte es wirklich über alle Maßen und mit großer Leidenschaft für die Musik zu brennen, wenn es sein musste, sogar für sie auszubrennen. Immer ein Stück weit über die Grenzen des Menschenmöglichen hinaus, das Allerbeste von sich gebend, auch wenn es bedeutete, dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren, die Kontrolle abzugeben, loszulassen, zu fliegen, auch auf die Gefahr hin abzustürzen, risikobereit, immer und immer wieder - das war es, was ihn so einzigartig, so besonders, so attraktiv und überwältigend faszinierend machte. Das war die magische Anziehung seiner Person, derer sich kaum jemand entziehen konnte.

 

Er lebte für die Musik und die Musik war sein Leben. Und seine Stimme glich der unendlichen Weite und Tiefe des Meeres, in dem seine Seele sich freischwimmen durfte, sogar bis zur totalen Erschöpfung.

 

Wie sollte es denn ohne seine Stimme mit ihm weitergehen? Wer oder was würde er ohne sie sein? Sein Blick schweifte verloren und orientierungslos durch die unzähligen Reihen des Parketts. Bleierne Schwere breitete sich über seine müden Lider aus. Er wirkte alt, verbraucht, fühlte sich ausrangiert und leer und wollte nichts lieber als sich wie ein alter Mann in einen bequemen Sessel sinken lassen, um den heutigen Tag einfach nur aus seinem Leben zu streichen. 

 

Vielleicht auch alles!

 

Doch da stand er nun auf dieser großen Bühne, riss sich zusammen, verkniff sich jedwede emotionale Regung und blieb ganz Profi. Müde quälte er sich ein Lächeln ab, verbeugte sich vor seinem Publikum, nahm hier, nahm dort einen Blumenstrauß seiner wohlwollenden Fans entgegen und fragte sich ungläubig, ob der frenetische Applaus ganz aufrichtig war und immer noch ihm galt.

 

©NIcole Hacke / Operaversum

Hin - und hergerissen zwischen Aufgeben und Aufbäumen, obsiegte dennoch sein stoischer Wille, alle Kraft, allen Mut und alle Hoffnung in das zu setzten, was mittlerweile wie ein seidener Faden an seiner langsam zerbröckelnden Karriere hing.

 

Es gab wirklich kein zurück. Der Applaus, der heute Abend wie ein urgewaltig tosender Wasserfall krachend auf ihn niederging und wie das größte Kompliment seines Wirkens erscheinen musste, war nichts anderes als ein vernichtendes Gischt stäubendes Urteil seiner miserablen Leistung. Es war nichts anderes als ein stürmischer Beifall aus Mitleid, eine letzte Ehrerbietung vor dem Künstler, der mal zu den ganz, ganz Großen seines Fachs zählte.

 

Es war zum Heulen traurig mitzuerleben, wie sein Publikum ihn gerade just in diesen nicht enden wollenden Sekunden, die zu zähflüssigen Minuten wurden, ganz aufdringlich wegklatschte, ihn gnadenlos mit ausdauernd oberflächlichen Beifallsbekundungen wegradierte, so als ob es ihn nie gegeben hätte. In all dem lag eine Tragik, die einer gewissen Komik nicht entbehrte. 

 

Wenn er jetzt laut loslachen würde, hielten sie ihn sicherlich allesamt für verrückt. Besser nicht! Schließlich galt es, den Schein zu wahren, den schönen Schein, der mittlerweile so viel mehr glänzte als seine stumpf gewordene Stimme. 

 

Was würde er ohne sie anfangen? Wie würde sein Leben weitergehen, wenn es plötzlich stimmlos würde? Seine Stimme, sein ganzer Lebensmittelpunkt!

 

Er wollte es sich nicht ausmalen, nicht in seinen ärgsten Träumen. Verdrängung! Verdrängung war momentan die einzige Option, die ihn noch aufrecht gehen ließ. Weitermachen um jeden Preis. Das und genau das würde er heute, morgen, übermorgen und in den kommenden Monaten tun. Was für ein beruhigender Gedanke!

 

Als sich der Saal peu à peu leerte, die Menschen nach draußen ins Freie drängten, um laut schwadronierend den erlebten Abend Revue passieren zu lassen oder ihn auf übelste Weise auseinanderzunehmen, je nachdem, in welcher Stimmung sie ihn jeweils erlebt hatten, verharrte er, der große Künstler, noch lange wie zu einer Salzsäule erstarrt, auf der Bühne, tief in seine nebulöse Gedankenwelt versunken.

 

Das grelle Scheinwerferlicht war längst erloschen, der Saal in abgrundtiefe Dunkelheit getaucht. Die aufgewärmte Atmosphäre des Saales kühlte mehr und mehr ab. Ein eisiger Schauer lief ihm unsanft den Rücken herunter.

 

Da stand er nun allein, ganz allein gelassen im menschenleeren Saal. Und inmitten dieser Leere, inmitten der hoffnungslosen Stille erhob er völlig unerwartet seine Stimme. Wie eine flackernde Kerze im Wind. Noch einmal! Zittrig, gebrochen und dennoch von berührender Schönheit, alle Kraft, die er vermochte, seiner Stimme zu geben, sang er... vielleicht.... in diesem einen vergänglichen und doch so bewegenden Moment...sein letztes Lied?

 

Aber wer wusste das schon!


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