Aigul Akhmetshina verführt Piotr Beczala in einer trostloser Carmen an der Met

28. Januar 2024

Rubrik Oper

©Ken Howard / Met Oper New York

Plötzlich ist da gar kein Messer. Die Wucht, mit der sich der Schlag in die Luft absetzt, ist überwältigend und so abrupt, heftig und unerwartet, dass man vor schierem Entsetzten reflexartig die Hände vor das Gesicht zusammenschlägt und dabei einen gequält unterdrückten Laut von sich gibt.

 

Dieser packende Handlungs-Krimi, in dem sich gerade die Schlussszene mit ihrem fulminanten Höhepunkt ereignet, stammt aus keiner anderen Oper als aus George Bizets Carmen.

 

Von Nicole Hacke

 

Nigelnagelneu an der Met Opera in New York in Szene gesetzt, spielt sich das Eifersuchtsdrama um einen desertierten Offizier und seiner verführerischen Freundin Carmen nicht wie gehabt im spanischen Sevilla ab, sondern im amerikanischen Ohio oder Arizona der Gegenwart.

 

Genau dort, wo die Cowboys und Cowgirls beheimatet sind und sich im sandigen Staub der Prärie ihren harten Alltag erkämpfen müssen.

 

Jeden Morgen in der Früh eilen die jungen Fließbandarbeiterinnen in die nahegelegene Zigarettenfabrik, ein trostloser Ort, der nicht einen Funken Nostalgie-Flair aufkommen lässt. Hier dreht kein einziges Mädchen eine Zigarre auf ihren "sündigen" Oberschenkeln. Schließlich sind wir auch nicht in Cuba.

 

Tatsächlich spielt sich die Gegenwart in einer nüchternen Realität ab, die jeglicher Romantik entbehrt. Vor dem mit hohen Drahtzäunen abgesperrten Fabrikgelände postieren sich allmorgendlich Sicherheitskräfte und Militär und passen die jungen Arbeiterinnen vor Antritt ihrer Beschäftigung an den Eingängen ab. Sie sind verliebt in die aufreizenden Frauen.

 

Nur eine ist noch viel aufreizender und so glühend heiß, dass sich ein gewisser Offizier namens Don José in die gefährliche Verführerin Carmen Hals über Kopf verliebt.

 

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

In viel zu knappen Jeans-Hotpants, einem Spitzenbustier, das Verführung schreit und lediglich mit einem rosa-farbenen Kittel halbwegs züchtig bedeckt wird, erahnt man das Milieu, aus dem Carmen stammt.

 

Ohne Frevel, rotzfrech, pampig und dennoch erotisch bis zum Anschlag, nimmt sich das sündhafte Luder einfach alle Unverschämtheiten heraus, auch wenn sie auf Kosten ihrer Mitmenschen gehen.

 

Immer auch auf Krawall gebürstet, stiftet Carmen während der Arbeitszeit Streit, es wird handgreiflich und endet in einem blutigen Schlagabtausch. Carmen ist eine explosive Kratzbürste, unangepasst, unausstehlich, aber eben auch unwiderstehlich, was über kurz oder lang auch Don José nicht entgeht. 

 

Als er dazu beordert wird, die hitzige Delinquentin ins Gefängnis zu bringen, umgarnt diese Don José mit kalkulierendem Liebreiz.

 

Es ist ein Spiel, bei dem das Begehren den jungen Offizier wie ein Fisch am Haken einer Angel zappeln lässt. Blind vor Liebe und der Verführungskunst Carmens erlegen, verhilft er dem Lolita-gleichen Wesen zur Flucht und wandert zur Strafe an ihrer statt ins Gefängnis.

 

Noch auf der Flucht vor dem Militär in einem mit Schmuggelware vollbeladenen LKW, feiert Carmen mit ihren "Mädels" ausgelassen herum. Sie feiert das Leben, die Freiheit und die Maßlosigkeit, mit der sie sich die Männer ganz ohne schlechtes Gewissen zu haben einfach nimmt.

 

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

Nur Escamillo, der Rodeo-Reiter erfährt eine deutlich distanziertere Behandlung.

 

Als Mann von Welt, im knallroten Ferrari auf der Überholspur, beeindruckt er die Frauen in Carmens Umfeld und am Ende auch Carmen selbst.

 

Doch diese ziert sich anfänglich, zeigt sich kühl und unnahbar, verfällt aber zu guter Letzt dem Charme des umworbenen Rodeo-Stars und verliebt sich scheinbar wirklich in ihn, was ihr leider am Ende das Leben kosten wird.

 

Carrie Cracknell hat mit dieser komplett auf Links gedrehten Neuinszenierung sicherlich nicht den Nagel auf den Kopf getroffen, zu wenig spanisch mutet die in Amerika verortete Produktion an. Es gibt weder einen Stierkämpfer noch eine Carmencita im Flamenco-Kleid.

 

Zigeuner-Nostalgie, ade. Warum er die Handlung so anders ausgedeutet hat, bleibt Spekulation.  Ob man dem Stück das Farbenfrohe, die Sonne Sevillas, die tanzenden Flamenco-Tänzerinnen und den stolzen Torero nehmen sollte, um letzteren mit einem lässigen Rodeo-Helden zu ersetzten, bleibt fragwürdig.

 

Aber Carmen als Cowgirl zu inszenieren und noch dazu als eine schlampige Lolita, stellt eindeutig die stolze Femme Fatale in den Schatten.

 

Wirklich schade. Manchmal passt Nostalgie gepaart mit einer historischen Detailliebe einfach immer noch besser ins Konzept, als sich auf Krampf ein modernes Regiekonzept aus den Fingern zu saugen, das auch nichts wirklich bahnbrechend Neues hervorbringt.

 

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

Einziger Plot-Twist: die Schlussszene, die wirklich rockt! Während man darauf wartet, dass Don José leise, still und heimlich sein Messer zückt, es noch lange, bevor er Carmen damit ersticht, hinter seinem Rücken verborgen hält, wird Carmen mit einem Baseballschläger in Sekundenschnelle kurzer Prozess gemacht.

 

Don José holt aus, schlägt mit rabiater Gewalt zu, sodass Carmen mit voller Wucht geradewegs zu Boden geht. Die "Stunts" der beiden Hauptakteure sind formidabel.

 

Jede Handgreiflichkeit, jedes Zerren, Reißen, Schubsen, brutal am Arm Packen, Würgen und was die Palette körperlicher Gewalt sonst noch alles hergibt, sitzt auf Anhieb.

 

Erstaunlich, was Opernsänger neben der reinen Gesangsleistung auch an sportlicher Verausgabung auf der Bühne zu bewältigen haben.

 

Grundgütiger! Das Dramaturgische, die Bewegtheit auf der Bühne machen letztendlich doch noch wett, was die moderne, etwas zu düster geratene Inszenierung leider nicht wett machen kann.

 

Doch am Ende überzeugen die Darsteller auf der Bühne, allen voran Aigul Akhmetshina, die der Chromatik verführerische "Tonbeine" macht.

 

Mit ihrem sonoren, eichenholzwarmen Mezzosopran, der feine strahlende Höhen produziert und kristallklar Glanzpunkte setzt, verzaubert, betört und umgarnt sie nicht nur Don José, sondern auch ihr Publikum. 

 

Diese Stimme schmeichelt, umschmeichelt und verführt eindeutig mit einem samtenen Timbre, das bereits stimmliche Ausmaße eines Kontraalts annimmt.

 

Warm, dunkel, maskulin wirkend und dennoch von durchdringend erotischer Weiblichkeit, klingt die Stimme Akhmetshinas so enorm farbenreich, saturiert und rund.

 

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

Ihre stimmliche Flexibilität, ihre Art chromatische Akrobatik mit minimalem Aufwand zu gestalten, lässig fast schon jeden Ton einfach nur fließen und strömen zu lassen.

 

Phrasierungen, Registerverblendungen, Intonation, Dynamik: Die Liste ihres gesanglichen Vermögens, allen Parametern der Gesangskunst formvollendeten Ausdruck zu verleihen, ließe sich noch weiter verlängern.

 

Und was für ein Don José: Piotr Beczala überrascht enorm. Sein Schauspiel ist von allererster Sahne! Viel zu oft viel zu steif und unbewegt, erlebt man an diesem Abend einen leidenschaftlichen, äußerst temperamentvollen Anti-Held, dessen Eifersucht vulkanisch eruptiv langsam, aber sicher auch stentoral an die glutheiße Oberfläche köchelt.

 

Gestik, Mimik, Körpersprache und Schauspiel: Alle vier gehen perfekt Hand in Hand. Und erst dieser betörende Gesang. Jugendlich strahlend und das mit 56 Jahren.

 

Was macht Piotr Beczala nur, dass seine Stimme so perlend rein, kraftvoll zugleich und ausdauernd bis zum letzten Ton in den Orbit des Auditoriums dringt - und noch dazu mit bedeutungsvoller Verve und inbrünstig beseelt?

 

©Ken Howard / Met Oper New York

©Ken Howard / Met Oper New York

Fehlt nur noch der Letzte im Bunde des fatalen Dreieckgespanns, nämlich Kyle Ketelsen, der als Escamillo sehr überzeugend den Rodeo-Helden gibt. Sein Bariton ist von einer besonders warmen Textur, gaumenrund, tiefdunkel, aber dennoch warmgolden strahlend - eine Stimme zum Hineinfallen-Lassen und Genießen!

 

Weniger rund erscheint die Besetzung der Micaela. Angel Blu, die grundsätzlich einen sehr warmen, sonoren und reif klingenden Sopran hat, passt definitiv nicht auf die Rolle der jungen Micaela. Mit zu viel stimmlicher Wucht und einer übertrieben dramatisch ausgestalteten Arie, wirkt diese Micaela nicht liebreizend, unschuldig und jugendlich, sondern viel zu dominant in einer Theatralik gefangen, die nicht zu einem lyrischen Rollenverständnis passt.

 

Wer aber am Schluss von sich sagen kann, die Musik und insbesondere den Gesang auf Händen getragen zu haben, der kann wahrhaft von einer musikalisch exzellenten Darbietung sprechen. Mit Daniele Rustioni ist dieser klangteppichreiche Drahtseilakt bestens gelungen. Insgesamt eine beeindruckende Vorstellung mit einer Cast, die man unbedingt gehört und gesehen haben muss.

 

CAST

 

Don José: Piotr Beczala

Carmen: Aigul Akhmetshina

Escamillo: Kyle Ketelsen

Micaela: Angel Blu

 

 

Inszenierung: Carrie Cracknell

Dirigat: Daniele Rustioni


©Met Opera New York

Sehen und hören wir mal, wie grandios Aigul Akhmetshina als Carmen Piotr Beczala ( Don José) verführt.


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