Zu Tränen rührende Selena Zanetti in Il Trittico an der Staatsoper Hamburg

22. Januar 2024

Rubrik Oper

©Brinkhoff / Mögenburg

Fix und fertig und in Tränen aufgelöst. So verlässt man - emotional überwältigt - die Hamburgische Staatsoper an diesem Abend.

 

Dabei war zu Beginn überhaupt noch nicht abzusehen, was der Opernregisseur Axel Ranisch in seiner mehr als progressiven Inszenierung von Puccinis meisterlichem Triptychon "Il Trittico" auf Leinwand und Bühne bringen würde.

 

Von Nicole Hacke

 

Chiara di Tanti, die große Schauspielerin, so berichten bekannte deutsche Schauspielpersönlichkeiten, Regisseure und Weggefährten der berühmten Diva, sei gestorben, mit 43 Jahren in einem Hotelzimmer. War es Selbstmord? Man weiß es nicht, man mutmaßt lediglich und ist schockiert über den plötzlichen Tod der Künstlerin.

 

Diese Hiobsbotschaft flimmert gleich als erstes als hochangelegter "Dokumentations-Schnipsel" über die bühnengroße Leinwand und lässt den Zuschauer rätselnd im Ungewissen über den sich durch drei voneinander unabhängige Akte ziehenden Handlungsstrang.

 

Aber welcher Handlungsstrang, wenn es doch drei Episoden einer Oper sind, die sich lediglich als in sich abgeschlossene Kurzgeschichten aneinanderreihen?

 

Und wer ist überhaupt Chiara di Tanti? Tom Tyker, David Striesow, Gustav Peter Wöhler oder gar Guido Maria Kretschmer wissen von der Verstorbenen zu berichten.

 

Ich jedenfalls kenne Sie nicht, habe nie von ihr gehört und grübele angestrengt nach, warum ich grundsätzlich fast jeden bekannten Schauspieler beim Namen nennen kann, nur den der Chiara di Tanti noch nie in meinem Leben gehört habe.

 

©Brinkhoff / Mögenburg

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Doch dann kommen erste Zweifel in mir hoch, mir dämmert es langsam: Dieses dokumentarische Vorspielgeplänkel ist Teil eines größeren Ganzen, sozusagen ein gestecktes Rahmenprogramm, das aus drei eins machen soll, nämlich eine in sich konkludierende Handlung, die über dem Triptychon steht und eine fiktive Protagonistin am Filmset von "Gianni Schicchi", Il Tabarro" und "Suor Angelica" ihre Lebensgeschichte erzählen lässt.

 

Axel Ranisch zäumt dabei das musikalische Meisterwerk von hinten auf. Nicht von tragisch nach heiter, sondern von heiter nach tragisch, wird gleich im ersten Akt "Gianni Schicchi" als komödiantische Sitcom-Serie unter der Produktionsleitung von RAI TV aufgezogen und entführt so das Publikum in das aufregende Filmleben der fiktiven Chiara di Tanti. 

 

Mit einem detailverliebten Bühnenbild, herrlich realitätsnah ausgestaltet, genauso, wie ein Filmset aussehen muss, tauchen wir sofort ein in diese herrlich bissige Geschichte um einen Erbschleicher und die um das Erbe betrogene "Schrecklich nette italienische Familie."

 

Denn italienischer kann Italien nun wirklich nicht sein. Diese Prachtexemplare einer Sippschaft mimen nämlich die pulsierende Heiterkeit, das explosive Temperament mit einer süffig quirligen Komik, die sowohl vokalstark als auch darstellerisch erheitert und amüsiert - und das mit Lachgarantie!

 

Da haben wir ihn nun, den italienischen Lokalkolorit in all seinen üppigen Facetten. Und direkt über dem Bett des verstorbenen Erblassers hängen, wie es sich in einem echten italienischen Haushalt gehört, Madonnenbildnisse, Ikonen über Ikonen und vergilbte schwarz-weiß Fotografien von wahrscheinlich längst verblichenen Familienmitgliedern.

 

Ach, wie schön, wenn Oper genauso inszeniert wird: Hautnah, authentisch und szenisch genial verpackt. Einziger Wermutstropfen:

 

Die über dem Filmset liegende Künstlergarderobe, in der Regieassistenz und der Hauptdarsteller "Gianni Schicchi" "unterhaltsam" ablenkend zugegen sind.  Doch um diese Theater-im-Theater-Szene echt wirken zu lassen, braucht es wohl diese szenisch bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Ausgestaltung. 

 

©Brinkhoff / Mögenburg

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Naturalistisch-dramatisch wird es sodann im zweiten Teil, der sich nach so viel Witz und pointierter Komik, dramatisch in die Länge zieht.

 

Der Bruch liegt klar auf der Hand. Die eine Geschichte hat scheinbar nichts mit der anderen zu tun. Doch halt! Der rote Handlungsstrang um Chiara di Tanti zieht sich tatsächlich durch, nachdem der Zuhörer von David Striesow in der erneut eingeschobenen Fortsetzung der Dokumentation erfährt, dass seine geschätzte Kollegin in einer narzisstischen Ehe gefangen war, die wohl auch zerstörerische Ausmaße angenommen haben soll.

 

Am Filmset zu "Il Tabarro" erleben wir Chiara di Tanti somit in der Rolle ihres Lebens. Auch hier zeigt sich ein Bühnenbild wie aus dem Bilderbuch. Die Stimmung:

 

Düster und trostlos. Es ist Nacht auf einem Kahn, Kohlebrocken liegen auf dem Deck verstreut herum. Hier an diesem Ort wird hart gearbeitet, worunter auch die Ehe zwischen Michele und Giorgietta ganz offensichtlich zu leiden hat. Luigi, Giorgettas heimliche Affäre scheint der einzige Ausweg in ein anderes Leben zu sein. Doch es kommt fatal anders. 

 

Im dritten und letzten Akt, der nach Ranischs inszenatorischer Konzeption die dramatische Spannung auf die Klimax zusteuern lässt, verliert Chiara di Tanti ihren einzigen Sohn, der sich aufgrund seiner Depressionen das Leben nimmt. Ehe kaputt, Sohn verloren: Der einzige Ausweg: Selbstmord!

 

©Brinkhoff / Mögenburg

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Und so erfährt das dramatische Leben der "Chiara di Tanti" in "Suor Angelica" seinen fulminanten, emotional Grenzen-sprengenden Höhepunkt, der Puccinis Triptychon endlich einen handlungsintensiven Rahmen gibt und ihm dadurch eine noch tiefergehende Substanz verleiht, die einen mitreißt, umhaut und zu Tränen rührt, berührt, anfasst und einen noch lange nach der Vorstellung nicht loslassen will.

 

Das jungfräulich weiß bezogenen Bett inmitten der Friedhofslandschaft, das zum rabenschwarzen Grab wird. Der kleine junge auf dem Fahrrad, der als Geist über den Friedhof fährt und die verzweifelt um ihren toten Sohn trauernde Mutter:

 

Der Sopranistin Selena Zanetti, die in der Doppelrolle als Suor Angelica und Chiara di Tanti glänzt, wird so viel künstlerisches Genie abverlangt, dass man deutlich merkt, wie sie mit sich und den beiden Frauenfiguren zu ringen und zu kämpfen hat.

 

Diese Inszenierung ist eine einzige dramatische Verdoppelung! Doppelt so intensiv, doppelt so dramatisch, doppelt so spannungsgeladen und emotional so extrem verstärkt, wie das bislang keine andere Inszenierung dieser Oper geschafft hat. 

 

Genial, einmalig und einfach unübertrefflich, ebenso wie die herausragende Cast, die jeden einzelnen gleichermaßen stark auf das Podest lobender Kritik erheben sollte, könnte ich noch doppelt oder dreifach so viele Worte verlieren, wie ich bereits vor Begeisterung der Inszenierung habe zuteilwerden lassen.

 

©Brinkhoff / Mögenburg

Erwähnt sei in jedem Fall die emotional tief berührende Interpretation der Suor Angelica und der Giorgetta durch Selena Zanetti. Eigentlich fehlen mir die Worte für so viel beseelten Schöngesang, einer extremen Ausdruckskraft und einem sich nahezu Auflösen in den Charakteren. Die kontrollierte Ekstase sprengt an diesem Abend die Grenze zum Unmöglichen und macht das Unmögliche wahrlich möglich.

 

Dass Selena Zanetti an einer höhepunktreifen Stelle in Suor Angelica die Stimme ausbleibt, einen ganzen Takt lang, mag emotionale Überwältigung oder aber Teil der Inszenierung sein (was ein ausgesprochen genialer Schachzug wäre). Es lässt sich im Nachgang leider immer schwer rekonstruieren, was man wie im Auditorium erleben darf, denn manchmal bestimmen oft Sekundenbruchteile den Verlauf einer Szene.

 

Doch ganz egal, was dieser beeindruckende Moment hergibt oder nicht, er passt auf Anhieb in dem zum Durchschneiden aufgeladenen Gefühlsorkan.

 

Absolut zauberhaft gestaltet sich auch die erfrischende Darstellung der Loretta durch Elbenita Kajtazi. Anmutig, elegant und von einer betörend farbenreichen Saturation singt die junge Sopranistin ein "O mio babino caro" zum Dahinschmelzen. 

 

Sanfte Legato-Bögen, punktgenaue Phrasierungen und eine lyrische Strahlkraft, die auch im letzten Akt ein warmgoldenes Licht ins Auditorium werfen: Die Rolle der Suor Genovieffa steht Elbenita Kajtazi ebenfalls vorzüglich. Bitte, bitte mehr davon!

 

Beeindruckend und bis in die tiefsten Klangschichten präsent ist Lucas Meachem in zwei Rollen: Gianni Schicchi und Michele. Sonor, satt und ozeanisch tief mutet sein Vokalinstrument an und durchdringt das Auditorium mit imposanter Voluminosität.

 

Überraschend auch Stefano La Collas Interpretation des Luigi. Der italienische Tenor kann Puccini, absolut. Fast wirft einen diese leidenschaftliche Inbrunst um. So überzeugend hat der Mann Verdi vor ein paar Jahren nicht gesungen. Und auch sein Schauspiel ist formvollendet. Es ist ein Genuss, wenn auch kein appetitlicher, dem tenoralen Helden beim Sterben zuzuschauen.

 

Und was das Dirigat von Alexander Joel anbelangt, so kann man nicht klagen. Vielleicht waren es an der ein oder anderen Stelle weniger Klangteppich und weniger untermalende Gefühlstemperaturen. Dafür konnte der Taktstockmeister aber durchgehend mit leidenschaftlichem Temperament und rhythmischer Raffinesse überzeugen.

 

Was für unvergesslicher Abend, der noch lange in meiner Erinnerung nachhallen wird.


Inszenierung: Axel Ranisch

Bühne und Video: Falko Herold

Kostüme: Alfred Mayerhofer

Licht: Michael Bauer

Dramaturgie: Ralf Waldschmidt

Chor: Eberhard Friedrich

Kinder- und Jugendchor: Luiz de Godoy

 

 

Musikalische Leitung:

Alexander Joel

 

1. Akt: Gianni Schicchi

 

Gianni Schicchi / Lucas Meachem

Lauretta / Elbenita Kajtazi

Zita / Katja Pieweck

Rinuccío / Oleksiy Palchykov

Gherardo  Jürgen Sacher

Nella / Hellen Kwon

Betto di Signa / David Minseok

Simone / Tigran Martirossian

Marco / Alexey Bogdanchikov

La Ciesca / Ida Aldrian

Maestro Spinelloccio / Han Kim

 

2. Akt: Il Taberro

 

Michele / Lucas Meachem

Luigi / Stefano La Colla

Il Tinca / Jürgen Sacher

Il Talpa / Tigran Martirossian

Giorgetta / Selena Zanetti

La Frugola / Katja Pieweck

Un venditore di canzonetti / Aaron Godrey Mayes

Due Amanti: Elbenita Kajtazi & Oleksiy Palchykov

 

3. Akt: Suor Angelica

 

Suor Angelica / Selena Zanetti

La zia Principessa / Katja Pieweck

La Badessa / Renate Spingler

La Zuora Zelatrice / Hellen Kwon

La Maestra della Novizie / Anna-Maria Torkel

Suor Genovieffa / Elbenita Kajtazi

Suor Osmina / Katja Starke

Suor Dolcina / Kady Evanyshyn 

La Suora Infirmiera / Ida Aldrian

 


©Staatsoper Hamburg

Der Trailer zur Inszenierung von Axel Ranisch: Il Trittico

©Staatsoper Hamburg

Worum geht es in Puccinis Tryptichon " Il Trittcio". Kurz erklärt in der Audioeinführung der Staatsoper Hamburg.


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