Verismo Zauber in Cilèas Adriana Lecouvreur an der Wiener Staatsoper

31. Oktober 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Wenn Frauen ihr Gift versprühen, dann kann es auch mal tödlich enden. So wie in dem vieraktigen Melodram Andriana Lecouvreur des italienischen Komponisten Francesco Cilèa. In einer faltalen Dreieckskonstellation, in der zwei Frauen um die Liebe eines Mannes buhlen, muss am Ende eine Konkurrentin durch die Hand der anderen ihr Leben lassen.

 

Denn zwei Frauen sind immer eine zu viel, und so besiegelt ein vergifteter Veilchenstrauß das Schicksal der Hauptprotagonistin Adriana Lecouvreur, die in diesem spannungsgeladenen Drama einen Star der schillernden Theaterwelt im Frankreich des epochalen Barockzeitalters darstellt.

 

Bunt, quirlig und mit einer zart angedeutet, verspielt koketten Klangsprache, die sich immer wieder in rauschend romantisierenden Tonalwelten verliert, steigt der Zuhörer orchestral mit der temporeichen, kurzweiligen Ouvertüre sogleich in das unmittelbare Handlungsgeschehen auf der Bühne ein. 

 

Einer "Theater-im-Theater-Logik" folgend, verdoppelt sich gleich zu Anbeginn der Aufführung die Inszenierung und man blickt direkt hinter die Kulissen der schillernden Bühne auf der Bühne.

 

Aufgeregte Künstlerdarsteller bereiten sich in ihrer Garderobe mit geschäftigem Eifer auf ihren Auftritt vor. Es wuselt, es knistern Reifröcke. Man spürt das Lampenfieber, die Anspannung und den pulsierenden Schauplatz des Verismo-Klassikers: die faszinierende Theaterwelt als solche.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Farbensatt belebt durch zeitgenössisch detailgetreue Kostümopulenz erwacht die Comédie Française des 17. Jahrhunderts an diesem Abend an der Wiener Staatsoper zu neuem Leben.

 

Mit bauschig frivol verspielten Reifröcken, Rüschen, neckischen Schleifchen, gekonnten Tanzeinlagen und einem Bühnenbild, das die Epoche der damaligen Zeit würdigt, gelingt dem Regisseur David Mc Vicar eine Inszenierung, die einer historischen Erlebniswelt par excellence gleicht.

 

Steif oder gar verstaubt wirkt hier nichts. Und der dramaturgische Handlungsrahmen wird durch den wohldosierten Einsatz von Requisiten so perfekt ausgeschmückt, dass man sich kaum sattsehen mag an den nostalgieverliebten Details.

 

Mit einer Sängercast, die von insgesamt 11 Darstellern 10 Rollendebütanten vorweisen kann, macht die albanische Sopranistin Ermonela Jaho in der Rolle der Adriana Lecouvreur, den krönungsreichen Auftakt mit ihrer Arie: "Io son l´umile ancella".

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Schon jetzt erahnt man, welche Strahlkraft in der Stimme der zierlichen Sängerdarstellerin steckt.

 

Obgleich ihre Mittellage tendenziell farblos, matt und wenig aufregend anmutet, ihr omnipräsentes Vibrato leicht störend in den Vordergrund tritt, so erstrahlt die lyrische Vokalkraft der Sopranistin in den exponierten Klanghöhen perlend rein und lediglich minimal flackernd.

 

Wie ein hauchdünn gesponnener Faden, so haarnadelscharf und von einer ästhetisch anmutenden Eleganz verlieren sich die irisierend zarten und teils luftigen Piani und Pianissimi vaporisierend im Auditorium.

 

"Meine Stimme ein Hauch...", so heißt es nicht nur im Libretto der Arie, genauso streichelt Jahos Stimme den Gehörgang hauchzart, beinahe zärtlich.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Kolloratursicher und vokalschön phrasiert folgt man der gesanglichen Interpretation sowie den ariosen Monologen nicht nur aufs Wort. Auch darstellerisch überzeugt die Albanerin auf ganzer Linie, auch wenn sich Jaho im ersten Akt noch etwas warmspielen muss.

 

In die Rolle gänzlich reingewachsen ist sie spätestens im 2. Akt, wenn sich das Drama zwischen den rivalisierenden Frauen langsam zuspitzt.

 

Im letzten Akt begreift man, dass die kontrollierte Ekstase nicht nur eine kunstvolle Wortschöpfung des Meisters Karajan ist, sondern tatsächlich in der schauspielerischen und gesanglichen Interpretation der Sängerdarstellerin vollends zum Ausdruck kommt. Ermolena Jaho personifiziert die Adriana Lecouvreur mit einer Innigkeit, die tief berührt.

 

Elīna Garanča alias Fürstin von Bouillon, gerät als Widersacherin der Adriana Lecouvreur in die Fänge ihrer eigenen perfiden Rachepläne.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Vokal überzeugend, bereichert die Mezzosopranistin mit ihrer dunkelsatten Stimme die Bühne an diesem Abend. Sie füllt sie geradezu aus. Präsent sowohl in den Höhen als auch in den Tiefen, erlebt man eine Interpretin, die rollenversiert zu gesanglicher Formvollendung aufläuft. Dass Elīna Garanča dabei technisch unübertrefflich ist, muss wohl kaum erwähnt werden.

 

Emotional interpretiert sie die Fürstin in allen Facetten, deren von Angst getriebe Manie in Eifersucht, Besitzstreben und morbiden Rachegelüsten ausartet.

 

Mit ihrem ausgeprägten Vokalkolorit und einer stimmlich klangdichten Textur hört man die Angst, die Eiseskälte und die Berechenbarkeit tonal zum Leben erweckt. 

 

Der Dritte im Bunde und wohl der tragödientreibende Hahn im Korb, der amerikanische Tenor Brian Jadge, überzeugt als Maurizio mit einer soliden, technisch versierten Stimme.

 

Schönheit und Kraft: Mit diesen zwei Substantiven bringt man die vokale Beschreibung seines tenoralen Könnens direkt auf den Punkt.

 

Genügend Luft nach oben zeigt sich bei Jadge allerdings noch in seinem schaustellerischen Potenzial. So manches Mal an diesem Abend beschleicht einen das Gefühl, das der Fokus einzig und allein auf der perfekten Ausführung des Schöngesangs verweilt. Dabei kommen leider die handlungsintensiven Interaktionen mit seinen Gesangspartnerinnen deutlich zu kurz.

 

Mehr Leidenschaft, mehr Innigkeit, ein paar heiße, verzehrende Blicke wären seiner Rolle als "Lover Boy" sehr zuträglich gewesen und hätten den Kohl des perfekten Sängerdarstellers tatsächlich vollends fett gemacht.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Dafür belebt der Bariton Nicola Alaimo als beschützender Wegbegleiter der Adriana Lecouvreur den bunten Jahrmarkt der theatralischen Eitelkeiten mit ganz besonders gesanglichem Feingefühl.

 

Dunkelsamtig timbriert und zum Erstaunen mit einer sehr hellen klanglichen Durchfärbung füllt er nicht nur die Rolle des väterlichen Freundes perfekt aus, sondern stemmt die baritonale Rolle mit einer gelassenen Souveränität.

 

Mit einer gesanglich verlässlichen Konstante führt Alaimo sein Publikum sicher und sehr unterhaltsam durch den Vierakter, ohne das es langweilig oder gar beschwerlich wird.

 

Kompositorisch von intensiver, aber zarter Klangdichte entführt das Dirigat des Israeliten Asher Fisch in eine sphärische Tonalwelt, die entgegen vieler anderer Verismo-Opern nicht auf Effektheischerei und dramaturgische, höhepunktreiche Sprengkraft setzt.

 

Elegante Koloraturen, fein orchestrierte Klangteppiche, die mehr untermalen als auftrumpfen, so stellt sich das Werk Cilèas, gediegen, elegant und in einem zartgewebten Netz aus dahinfließenden Klangwogen dar.

 

Leicht, unaufdringlich und nur an den richtigen Stellen akzentuiert, bringt die Orchestrierung Bewegung in den aufregenden Handlungsstrang und treibt das Stück mit unangestrengter Spannung auf die finale Klimax der Tragödie zu.

 

So herrlich verklärt und balsamisch leicht stirbt es sich am Schluss in Cilèas Verismo-Kosmos, dass der Adriana Lecouvreur das Prädikat einer besonders verzaubernden Oper zusteht, die weder durch musikalische Überschwenglichkeit, noch durch forcierte Dramatik übermäßig dick aufträgt.

 

Tatsächlich ist ihr kompositorischer Stil unwiderstehlich leicht und beinahe so feinperlend wie ein eleganter Schaumwein.


©Videoausschnitt über youtube zur Verfügung gestellt / aus der Wiener Staatsoper

Elīna Garanča in ihrer Rolle als Fürstin von Bouillon überzeugt mit wahrhafter Dramatik und einer technisch versierten Stimmführung, die vokalschön durch alle Höhen und Tiefen trägt und besonders in ihrer klanglichen Durchfärbung besticht.

 

©Musikalischer Beitrag über youtube zur Verfügung gestellt / aus dem Royal Opera House London

Jonas Kaufmann singt die Arie "La Dolcissima effigie", die zu den melodiösen Höhepunkten von Cilèas Oper zählt. Viele verkennen die Arie des Maurizio als musikalischen Schmachtfetzen. Tatsächlich ist sie aber von einer musikalisch beseelten Schlichtheit durchdrungen, dass man sie kaum als kitschig oder gar emotional affektiert bezeichnen könnte. Eine Hörprobe gefällig?


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