Lise Davidsen unübertroffen als Ariadne auf Naxos an der Met Opera

13. März 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Marty Sohl /Met Opera

Über Lise Davidsen kann man eigentlich nur noch in Superlativen sprechen. Die norwegische Sopranistin mit der raumgreifenden, ozeanisch ausufernden Stimmpotenz singt dieser Tage an der Met Opera in New York in einer kostümverliebten Inszenierung der Ariadne auf Naxos.

 

Zum ersten Mal nach genau 10 Jahren findet das Meisterwerk des deutschen Komponisten Richard Strauss wieder zurück an das größte Opernhaus der Welt. Erstmals als Neuinszenierung im Jahr 1993 mit Jessye Norman in der Titelpartie der kretanischen Prinzessin aufgeführt, bleibt die szenische Interpretation des Regisseurs Elijah Moshinsky’s auch heute noch zeitlos schön.

 

Requisitenreiche Details, ein üppig ausstaffiertes Bühnenbild und eine belebte Szene, in der sich alle Rollendarsteller gleich im ersten Akt des spätromantischen Opernwerks zusammenfinden, ebnen den Einstieg in einen quirlig, temporeichen Prolog, der einer Theater-im-Theater-Logik folgt.

 

Zwei Künstlerwelten stoßen dabei ungewollt aufeinander. Und mittendrin ein Komponist, der sich in größter Aufregung auf ein bevorstehendes Fest des reichsten Mäzen Wiens vorbereitet. Seine Oper "Ariadne auf Naxos" soll während der rauschenden Festlichkeiten zur Uraufführung kommen.

 

Doch dass der Mäzen auch eine Tanztruppe der commedia dell arte organisiert hat, die sich synchron in das Operngeschehen einbringen wird, bringt den Komponisten in ernsthafte Bredouille. Wie soll er das bloß bewerkstelligen?

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Eine ungewöhnliche Melange aus Melodram und Opera buffa? Tatsächlich schienen sich Richard Strauss und sein librettistischer Kompagnon Hugo von Hoffmannsthal einen Spaß daraus machen zu wollen, dem ernsten Operngenre einen erheiternd fröhlichen Anstrich zu verpassen. Wie auch sonst würde sich die Durchmischung zweier völlig konträrer Musikstile erklären?

 

Fakt ist jedenfalls, dass auch das Leben die Dramen nie nur in absoluter Reinform schreibt, sondern immer auch die Hochphasen in ihrer üppigen, oftmals ausufernden Euphorie berücksichtigt.

 

Freude und Trauer sind an ein übergangsloses Kreislaufsystem gebunden, genauso wie Liebe und Hass immer auch auf einem schmalen Grat verlaufen und selten, wenn überhaupt, voneinander zu trennen gehen.

 

Elijah Moshinsky hat genau diese menschlich konträren Gefühlszustände unmittelbar miteinander konfrontiert. So sitzt der Teufel sinnbildlich auf der einen Schulter der Ariadne, über die andere Schulter blickend erleben wir den kecken Engel in Gestalt der Zerbinetta. Mit szenischem Geschick und einem besonderen Fingerspitzengefühl für emotionale Temperaturen weichen insbesondere im 2. Akt, dem eigentlichen Kernstück der Oper, die scharfen Konturen des Dramas wohlgefällig auf, verlieren sich, wenn auch nur akzentuiert, in der munteren, lebensbejahenden Frohnatur der koketten Zerbinetta und ihrer humorvollen Tänzerkollegen.

 

Der Tanz des Lebens gegen die Unmotorik der Trauer. Während die todessüchtige Ariadne in Lethargie auf ihre Erlösung wartet, springt eine quicklebendige Zerbinetta wie ein kleiner Kasper um die leidende Ariadne herum.

 

Wenn uns diese Inszenierung eines sagt, dann, dass das Leben immer zwei Facetten hat, nämlich die dunklen und die hellen. Und wenn sie sich dann noch durchmischen, erreichen sie meistens den Realzustand des menschlichen Seins.

 

©Marty Sohl / Met Opera

Die Frage, warum fast jeder Sängerdarsteller zumindest einmal im Leben an die MET will, erübrigt sich, wenn man es geschafft hat, einer so besonders professionellen, hochqualitativen Aufführung beiwohnen zu können und sei es nur im Kino auf der großen Leinwand.

 

Mäkeliges herumkritisieren kann man sich bei dieser hochrangigen Auswahl an Top Sängerdarstellern wirklich getrost sparen. Sowohl die Haupt- als auch die Nebenrollen sind so ausgezeichnet besetzt, dass man sich eben nicht ausschließlich auf die großen Arien des Abends fokussiert, sondern ebenso die kleinen Gesangseinlagen mit Freude genießt.

 

Zudem hat Richard Strauss in seiner Vertonung gut dafür gesorgt, dass alle größeren Partien ihre jeweilige musikalische Daseinsberechtigung erfahren.

 

So kommt die vokal florierende Stimme der Mezzosopranistin Isabel Leonard gleich zu Beginn des 1. Aktes arienintensiv zur Geltung.

 

Mit ihrer glanzvollen und höhenversierten Stimme erstrahlt die Klangpalette der Sängerdarstellerin in lyrisch seidenzarter Textur. Höhen und Tiefen nimmt sie mühelos, ausdauernd und erschöpft sich in diesem sehr temporeichen 1. Akt nicht eine Sekunde. Ihre langen ariosen Monologe sind von überzeugender Frische und vokaler Strahlkraft. Ihre burschikose Attitüde in der Hosenrolle des Komponisten nimmt man ihr zweifellos ebenfalls ab.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Absolut höhepunktreif und unübertrefflich schlägt sich gleich darauf im 2. Akt der Weltstar Lise Davidsen, der die Partie der Ariadne auf den Leib geschneidert scheint.

 

Mit ihrer junonischen Statur, die plötzlich zierlich und geradezu zerbrechlich neben den überdimensionierten Fantasiegestalten der Nymphen wirkt, singt sie sich leidenschaftlich und mit äußerster Beseeltheit in einen Klangrausch der Gefühle.

 

Wie eine Naturgewalt schlägt ihr Vokalinstrument in schier grenzenlose Registertiefen aus, nur um in einem sanft fließenden Registerwechsel in die exponierten Tonalhöhen die wohl zart schimmersten, sphärischen Klänge zu produzieren.

 

Leicht und duftig schwebt sodann ihre Stimme im Raum. Endlos strömt Davidsens Atem und strömt, als ob die Quelle der geschmeidig samtenen Töne nie versiegen wolle.

 

Dramatik pur, einhundert Prozent Gefühl und eine natürliche Strahlkraft finden sich auch im Schauspiel der Sängerdarstellerin wieder.

 

Es scheint die Sternstunde der Lise Davidsen zu sein. Die Ariadne steht ihr jedenfalls prächtig.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Unglaublich schwierig und so gut wie hauptrollenverdächtig gestaltet sich auch die Interpretation der Zerbinetta, die von der US-Amerikanerin Brenda Rae verkörpert wird.

 

In ihrer 13-minütigen Koloraturarie, die einem stimmlichen Marathon gleich kommt, überzeugt Rae mit technisch ausgereifter Präzision, einer vokalen Flexibilität und absoluter Koloraturversiertheit.

 

Die Puste geht ihr jedenfalls nicht einmal aus. Und 13 Minuten sind sehr lang für eine Arie, die sich nicht mal eben so dahinträllern lässt, obgleich der Höreindruck etwas anderes verlauten lässt.

 

Ein zwitscherndes Vögelchen kann es jedenfalls nicht besser machen. Und auch die darstellerischen Fähigkeiten strahlen mit Raes farbenfrohen Koloraturen, ihrem ebenso kunterbunten Gewand und der positiven Ausstrahlung gleichberechtigt um die Wette.

 

Einziger Wermutstropfen in der Menagerie der gesanglichen Ästhetik scheint mir der Tenor Brandon Jovanovich, der an gewaltiger Stentorkraft einbüßt. Eher zart, ein wenig brüchig und mit wenig Strahlkraft ausgestattet, vermag seine Stimme nicht wirklich gegen die gewaltige Stimmwucht seiner Gesangspartnerin Lise Davidsen aufzubegehren.

 

Obgleich wohl timbriert und angenehm warm klingend, fällt der viel zu durchlässige Schöngesang kaum ins Gewicht und verschwindet zum Teil unbemerkt ein wenig kümmerlich in der Versenkung des ariosen Geschehens.

 

©Marty Sohl / Met Opera

Orchestral meisterhaft in Szene gesetzt, spannt die Musik Richard Strauss unter der Leitung des Dirigenten Marek Janowski einen erzählerischen Faden durch den gesamten Zweiakter. Zuerst dominant, vordergründig und musikalisch autonom, erfährt die sinfonisch spätromantische Süffigkeit des Klangteppichs just im letzten Akt einen ausschmückenden, deutlich untermalenden Charakter.

 

Frisch und modern wie am ersten Tag präsentiert sich Strauss Musik in dieser brillanten Inszenierung, die sich genauso zeitlos in der Gegenwart verewigt wie die Musik des Komponisten es wohl ewig sein wird.


©Met Opera / über youtube zur Verfügung gestellt

Der Trailer zu Ariadne auf Naxos von Richard Strauss gibt Einblicke in die traumhafte Inszenierung und in die musikalischen Highlights.

 

©Met Opera / über youtube zur Verfügung gestellt

Anmutiger, ausdrucksstärker und mit einer facettenreichen Stimme kann man die Ariadne nicht besser interpretieren, als es die norwegische Sopranistin Lise Davidsen an der MET vermag. Außerordentlich brillant, strahlend und präsent schlüpft die Sängerdarstellerin in die Rolle der kretanischen Prinzessin und verkörpert die Rolle der mystischen Gestalt einfach nur göttlich.

 

"Es gibt ein Reich" ist wohl die Signature-Arie der Lise Davidsen.


Die MET Opera "Live at Cinemas" Reihe präsentiert die neue Saison mit Opernklassikern wie Don Carlos, Turandot und Lucia di Lammermoor.

 

Mit herausragenden Künstlern, besonderen Inszenierungen an einem der größten Opernhäuser der Welt, erlebt man auch im Kino traumhafte und unvergessliche Klassikmomente.



©Wilfried Hösl / Cuvilliés Theater München

Lise Davidsen im Cuvilliés Theater in München

Eine junonische Erscheinung ist die norwegische Sopranistin Lise Davidsen allein schon durch ihre Körpergröße. Doch das sie bei ihrem Liederabend im Münchner Cuvilliés Theater genauso viel gesangliche Größe an den Tag legt, beweist ihr urgewaltiges Stimmorgan...

 



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