Aida in überdosierter All-Star-besetzung an der Wiener Staatsoper

24. Januar 2023

Rubrik Oper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

Die Wiener Staatsoper kann getrost euphorisch ins neue Jahr durchstarten, denn mit einem Vierergespann aus international gefeierten Opernsänger:innen schmücken sich derzeit nicht viele Opernhäuser. Kein Wunder, dass die Karten für Verdis episches Meisterwerk Aida bereits Monate im Voraus ausverkauft waren und selbst für weniger begehrliche Stehplätze bitterlich kalte Nachtschichten im winterlichen Wien eingelegt wurden, nur um überhaupt einen Fuß in das Haus am ersten Ring setzen zu können.


Der Rummel um die großen Stars der Opernbranche ist dieser Tage übergroß, denn das Gesamtpaket aus „All-Stars, All-In“ ist mit Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča und Luca Salsi tatsächlich nicht mehr zu überbieten.


Wer da an einer Überdosis vokalbrillanter Opulenz zugrunde geht, der kann sich tendenziell eher glücklich schätzen, denn solch eine berauschende Überdosis und noch dazu in hoch konzentrierter, wirkungsstarker Form, lässt sich doch wirklich jeder enthusiasmierte Opernfan gerne umgehend intravenös injizieren.


Doch nicht alles Gold, was in der szenischen Ausgestaltung der Aida so funkelnd glänzt, ist wahrlich glanzvoll. Der Lack vergangener Tage bröckelt wie nostalgisch eingetrockneter Putz von den Decken eines nicht ganz so effektvollen Bühnenspektakels, das noch aus den 80-er Jahren stammend zwischenzeitlich kein moderneres Make-over erfahren durfte.


So wirkt denn die Inszenierung von Nikolas Joel statisch, steif und wenig aktionsreich und befeuert auch das Handlungsgeschehen auf der Bühne minimal.

 

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

Schwer wirkende historiengetreue Gewänder, die über und über mit Perlen, goldenen Laméfäden und pompösen Kopfbedeckungen wie die der Amneris beeindrucken, können dennoch nicht über die zinnsoldatenhafte Bewegungsarmut auf der Bühne hinwegtäuschen.


Dabei gibt es doch mittlerweile multimediale Mittel und Wege, einer eingefroren erscheinenden Bühnenkulisse zu deutlich mehr Lebendigkeit und Aktionsreichtum zu verhelfen, wenn schon der dramaturgischen Kreativität nicht so viel Entfaltungsvielfalt zugestanden wird.


Zum Glück lassen sich die singenden Darsteller davon nicht entmutigen und agieren mit schauspielerisch versierter Raffinesse, um sich charakter- und ausdrucksstark in den Vordergrund des minder aufregend szenischen Rahmens zu spielen.


Und das gelingt ganz besonders der russischen Sopranistin Anna Netrebko, die als Aida nicht nur eine besonders hübsch anzusehende Erscheinung ist, sondern im Höchstmaß der Gefühle als vokalsensible und äußerst gesangstechnisch brillante Lichtgestalt beeindruckt und ihr Publikum vom glorreichen Anfang bis zum bitteren Ende mit einer betörenden Strahlkraft fesselt.


Die Rolle der äthiopischen Aida ist ihr wahrlich wie auf den Leib geschneidert, denn Anna Netrebko ist so stimmbeherrscht, dass alle gesangstilistischen Facetten perfekt austariert zum Einsatz kommen, damit die großen Gefühle ihre volle Wirk- und Sogkraft entfalten können.


Mit irisierendem Schimmer in den exponierten Höhen, perlend klar und duftig leicht: So leicht macht das der Vokalathletin keiner so schnell nach, denn genau dort oben in tonal schwindelerregenden Höhen brilliert das Vokalinstrument der Künstlerin auf das ausdrucksstärkste und klangvoll facettenreichste.

 

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

Grandios gestaltet sich auch das stentorale Gesangspotenzial in den dramatischen Passagen der dreiaktigen Oper. Stimmgewaltig und gaumenrund in der saturierten Mittellage beweist der Star der Opernmanege ebenfalls, wie ausdauernd biegsam und elegant formschöne Registerverblendungen gelingen, feinste Nuancierungen konturiert zutage treten und intensivste Pianissimi einer samtzarten Verführung gleich kommen.


So auch im finalen Duett mit Jonas Kaufmann, in dem sich die Sängerin gesanglich so dezent zurücknimmt, dass sich wahrhaft eine ausgewogen klangsatte Harmonie entfalten kann.


Ansonsten scheint die geballte Frauenpower der Ausnahmekünstlerin ihre Kollegen locker an die Wand zu spielen, allen voran den normalerweise gleichermaßen stimmgewaltigen Tenor Jonas Kaufmann, der in dieser Inszenierung einen Radamès verkörpert, der wie ein Fremdkörper etwas verloren auf der Bühne wirkt.


Schon in Baden-Baden vor knapp einer Woche stimmlich verausgabt, scheint die vokale Luft aus dem heroischen Helden entwichen zu sein. Gedämpft und wenig kraftvoll versucht sich Jonas Kaufmann gegen alle vokalen Widerstände ganz besonders in den höheren Tonlagen aufzubäumen.

 

Dass die Stimme bei all den herausgepressten Mühen nicht zusammenkracht, ist ein Wunder. Die Anstrengung in der Kehle ist eindeutig herauszuhören.

 

Frei fliegende Töne haben es beim Tenor an diesem Abend sehr schwer und leider auch absoluten Seltenheitswert.


Erst zum Ende hin, als sich Anna Netrebko und Jonas Kaufmann alias Aida und Radamès mit ihrem fatalen Schicksal abfinden, strahlen beide Stimmen unisono in farbenreichen Pianissimi irisierend und nahezu sphärisch um die Wette.

 

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

Just in dem Moment zeigt sich dann auch wieder die Schönheit der tenoralen Pracht, die besonders in der warmgoldenen Mittellage des deutsch-österreichischen Tenors deutlich präsenter zu verspüren ist und ganz besonders in den Piani zutiefst verzaubert.


So erlebt man mit Jonas Kaufmann dieses Mal zwar keinen tenoralen Hochgenuss, zumindest aber lohnende Schlüsselmomente im letzten Akt.


Mit starker Frauenpower kennt sich auch die Mezzosopranistin Elīna Garanča aus, die als eifersüchtelnde, intrigante Amneris gefrierpunkttiefe Gefühle versprüht. Nicht die leidenschaftlichste unter den Mezzosopranistinnen, sondern vielmehr die unterkühlte Blondine, die sich exotisch unnahbar in kleopatrahafter Gestalt gibt, so eindrücklich überzeugt die Sängerin gerade wegen ihrer distanziert abgebrüht wirkenden Art.


Der teils metallisch raue Klang ihres Vokalinstruments tut sein Übriges dazu, um dem Charakter der Amneris harte, unnachgiebige Konturen zu verleihen.


Als letzter im Bunde des exquisiten Sängerquartetts überzeugt ein Luca Salsi als Amonasro sein Publikum mit brachialer Stimmwucht. Warmgolden, klangschön und ozeanisch tief gelingt dem Italiener eine authentische Interpretation des Vaters von Aida.

 

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper

A La Italianità, so herrlich saturiert tönt es ebenfalls aus dem Orchestergraben.

 

Vielleicht zuweilen um ein paar Dezibel zu laut. Doch wenn eine Anna Netrebko es schaffen kann, über einen stark kondensierten orchestralen Klangteppich problemlos hinweg zu singen, kann die Lautstärke einer musikalischen Untermalung wohl kein grundsätzlicher Showstopper für stimmpotente Opernsänger:innen sein.


Präzise auf den tonalen Punkt gebracht: Nicola Luisotti hatte wirklich jederzeit den Taktstock fest im Griff.

 

Was für ein denkwürdiger opernhistorischer Abend!

 

©Wilfried Hösl / Wiener Staatsoper


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