Il Trittico berührend schön und mit facettenreichem Tiefgang an der Wiener Staatsoper

09. Oktober 2023

Rubrik Oper 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Schwer glücklich sein! Wie schwer kann sich Glück überhaupt anfühlen? Oder ist das Leben einfach nur ein schweres Gefühl? Manchmal schreit es auch einfach nur "glücklich", so wie die Leuchtschriften auf der Bühne der Wiener Staatsoper, die als überdimensionierte Reklamebotschaften je nach Gefühlslage das jeweils entsprechende der drei Worte grell aufblinken lassen.

 

Doch was bedeutet "Schwer glücklich sein" im Zusammenhang mit den drei schicksalhaften Geschichten, die Giacomo Puccini in seinem Opernzyklus "Il Trittico" bestehend aus den jeweils einstündigen Einaktern "Il Tabarro", "Suor Angelica" und "Gianni Schicchi" verarbeitet hat?

 

Und ist das Adjektiv "schwer" in dieser interpretatorisch vielschichtigen Wortkonstellation nicht vielleicht auch ein Synonym für Tiefe und Wahrhaftigkeit? Schwer glücklich sein kann auch etwas Beflügelndes haben und muss nicht notwendigerweise ein belastendes Gefühl sein.

 

Nach 40 Jahren endlich an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt und noch dazu in einer höchst gedankenanregenden Neuproduktion der Opernregisseurin Tatjana Gürbaca durchleben die Protagonisten das Leben in allen Facetten der Gefühlspalette, mal schwer glücklich, dann wieder schwer und manchmal auch nur im Zustand des urteilsfreien Seins.

 

Während Michele und Giorgetta in einer hoffnungslos verlorenen Beziehung wie gefangene Tiere feststecken, betrauert Suor Angelica im Kloster ihr todgesagtes Kind und fühlt sich selbst des Lebens nicht mehr wert. Gianni Schicchi hingegen ergaunert sich mit List ein Erbe, das ihm gar nicht zusteht.

 

Und wie das Leben ebenso spielt, gewinnt in letzter Instanz einer gegen alle.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Sensibel und mit einer großen Portion Feinfühligkeit inszeniert, laviert man sich gemeinsam mit den Darstellern auf der Bühne durch die mäandernden Fluten mannigfaltiger Schicksale.

 

Schockiert erstarrt man, als Michele Luigi, den Liebhaber seiner Frau Giorgetta, ersticht und sich selbst am Schluss noch die Kehle durchschneidet. Was für ein hausgemachtes Drama, das sich so sehr in der grausamen Realität des Lebens widerspiegelt, dass einem wirklich anders zumute wird.

 

Und auch im großen Leiden der Schwester Angelica liegt kaum etwas Tröstliches. Hart ins Gericht gehend mit dem Schicksal einer Frau, wird die leidgeplagte Schwester gleich doppelt bestraft. Dem fatalen Irrtum auferlegen ihr Kind sei tot, nimmt sich die von Gram und Schmerz gezeichnete Frau am Ende selbst das Leben.

 

Heiter kommt einem auf makaberste Weise nur der letzte Akt vor. Streitigkeiten über eine ungünstig ausfallende Erbschaft, aus der nur einer mit raffinierter Gewissenlosigkeit als Gewinner hervorgeht: Wer kennt es nicht, wenn Familien sich über einen Erbschaftsstreit hinweg zerfetzen und nur einer mit der dicken "Kohle" von Dannen zieht?

 

Gewinner und Verlierer, Glück und Unglück, Liebe und Hass, Frieden und Krieg. Es sind genau diese Gegenpole, die Extreme des menschlichen Seins, die ein absolutes Spannungsfeld erzeugen und unser Leben erst dadurch in Bewegung bringen, auch wenn sich das im ersten Moment vielleicht befremdlich anhört.

 

Nun gut! Bei Puccini erleben wir in den ersten beiden Fällen die äußersten Extreme, die Dramen, die aus einer langen Vorgeschichte des menschlichen Leids entstanden explosive Auswüchse mit fatalem Ausgang annehmen. Aber auch das ist eine Facette des Lebens, die uns die furchteinflößende Finsternis unserer Seele deutlich vor Augen führt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

So kann es uns allen ergehen, wenn wir nicht auf unsere Gefühle achtgeben, wenn wir uns selbst aus den Augen verlieren, uns für andere aufgeben und unser eigenes Wohlbefinden hintanstellen. Harte Schicksalsschläge und Traumata mögen diese Versuche unterbinden. Doch es liegt an uns, für unser Leben zu kämpfen, uns den Widrigkeiten zu stellen und stoisch dagegen aufzubegehren, um unser Seelenheil willen.

 

Tatjana Gürbaca zeigt in ihrer gelungenen Produktion höchst eindringlich, wie schwach der Mensch im Kern seiner Handlungen, wie fehlbar, verwundbar und ethisch unreif er tatsächlich ist. Das macht ihn irgendwie auf eine verstörende Art nahbar, aber auch so manches Mal auch zu einem abstoßenden Monster, von dem man insgeheim weiß, dass es tief in einem selbst -vergraben unter einem Berg unterdrückter Emotionen - rumorend schlummern könnte.

   

Was die Regie so perfekt auf die Bühne bringt, wird insbesondere durch die Bühnendarsteller höchst virtuos abgerundet.

 

Ob Schauspiel oder Gesang: In dieser Aufführung kann man sich kaum entscheiden, wer in welchem Akt wohl besser agiert oder gesungen haben soll.

 

Grandios zeigt sich in jedem Fall die vollends überzeugende Interpretation des Michele, der von dem deutschen Bariton Michael Volle zum Besten gegeben wird. Ob Resignation, verzweifeltes Aufbegehren oder blanke Wut, bei dem Letztere in überschäumenden Hass auf die geliebte Frau, den verhassten Geliebten und sich selbst umschlägt - Michael Volle ist ein Meister des darstellenden Fachs. 

 

Wie er so andeutungsvoll echt wirkend seine Kehle durchschneidet, just in dem Moment, wo man schon das Blut in alle Himmelsrichtungen spritzen sieht und es genau dann natürlich blitzartig stockdunkel auf der Bühne wird. 

 

Das mimische Spiel, der Ausdruck, der sich nicht nur gaumenrund im Gesang äußerst, macht den Opernsänger zu einem gesanglich-darstellenden Gesamtkunstwerk.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Wirklich jede Gefühlsregung, jede Facette der auf der Bühne ausgelebten Emotionen nimmt man dem Gesangsinterpreten vollends ab. Und diese ozeanische Tiefe in der Stimme, die sich sowohl samtweich und angenehm umschmeichelnd, ja nahezu liebkosend auf den Gehörgang legt, kann ebenfalls in donnernde Rage und ausufernde Wut umschlagen. Volltönend und mit stentoraler Wucht vernimmt man sodann das Vokalinstrument raumgreifend ins Auditorium strömen.

 

Anja Kampe in der Rolle der untreuen Ehefrau Giorgetta spielt eine Gehetzte, die verwirrt zwischen zwei Männern hin- und herschaukelt, so wie ein orientierungsloses Schiff auf stürmischer See. Angekratzt wirkt es gesanglich immer dann, wenn sich die Aufregung Bahn bricht. Könnte Sie von ihrem Ehemann in flagranti ertappt werden? Und wie kann es ihr gelingen, aus dieser hoffnungslos verlorenen Ehe auszubrechen?

 

Hysterie und lyrische Verklärtheit wechseln sich im Stimmmaterial der Sopranistin immer mal wieder ab. Vielseitigkeit liegt der Anja Kampe offensichtlich ganz famos. Emotionale Temperaturen transportiert die deutsche Opernsängerin formvollendet über ihr Vokalinstrument. Eine Geschichtenerzählerin könnte es wahrlich nicht besser machen.

 

Und dann noch die italienische Sopranistin Eleonora Buratto, die eine Meisterin des lyrischen Fachs ist. Nicht nur, dass Puccinis Musik in Suor Angelica einem absolute Gänsehautmomente beschwert, weil eben die Musik, so sphärisch, entrückt und verzaubernd anmutig auf klangwogenreichen Instrumentalteppichen davonschwebt.

 

Nein, auch das Stimmmaterial der Eleonora Buratto, die als Suor Angelica so betörend sinnliche Vokallaute von sich gibt, vereinnahmt den hypnotisierten Zuhörer. Die Tragik der Geschichte, die einsame Nonne, die ihr totes Kind beklagt und schier darüber verzweifelnd im Wahnsinn Glassplitter schluckt, um sich damit das Licht des Lebens auszuhauchen.

 

Und all das mit einer vokalen Inbrunst, die kein Gefühl außen vorlässt. Es ist wahrhaft überwältigen, mit welch überirdischen Schönheit diese Stimme gesegnet ist.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Großartig gestaltet zudem die österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz ihren Part als Lehrmeisterin der Novizen. Zwar ist die Rolle klein, aber dennoch erahnt man in dem Wenigen die reife Stimmpracht, das warme Timbre und die ausgewogene Saturation, die mit bernsteinfarbenen Nuancen versehen scheint.

 

Bleibt ein grandioser Gianni Schicchi, der ganz sicher von keinem anderen als dem Italiener Ambrogio Maestri so fantastisch dargeboten werden kann. Als Situationskomiker Sondergleichen schafft es der dunkelsamtige Bariton ein Schauspiel auf die Bühne zu bringen, das schon allein durch seine Präsenz absolute Wirkung erzielt.

 

Was braucht es mehr! Stimmlich ein Gehörschmaus bleiben noch seine Tochter, die von der Sopranistin Serena Sáenz interpretiert wird, aber wie!

 

"O mio babbino caro" klingt so berauschend schön, dass man mit geschlossenen Augen beinahe schon "La Divina" vor sich sieht. Tatsächlich gestaltet die junge Sopranistin diese Arie mit absoluter Anmut und einem hingebungsvollen Klangschmelz, der den gewieften Gianni selbst dahinschmelzen lässt.

 

Dieser letzte Akt, der im Comedia-dell´Arte-Stil konstümopulent daherkommt und witzig-spritzig auch musikalisch konturiert aus allen drei Akten hervorsticht, setzt über die gesamte Dauer des Erbstreits ein fulminantes komödiantisches Kontrastprogramm an, das den ersten beiden Akten ein wenig die Tristesse nimmt. 

 

Auffallend brillant zeigt sich auch der Tenor Bogdan Volkov mit einem strahlenden und eleganten Stimmmaterial, das seinem hohen Tenor gut zu Gesicht steht.  Und auch Clemens Unterreiner in der komischen Rolle des Betto di Signa überzeugt mit seinem saturierten wohlklingenden Bariton.

 

Bleibt das Dirigat von Philip Jordan, der an diesem Abend mit seinem Taktstock wahre tonale Wunder hervorzaubern kann. Wie auch sonst könnte die Musik Puccinis einer so himmlischen Verführung gleichkommen.


Kommentare: 0