Psychodrama mit psychopathischen Zügen: Salome an der Wiener Staatsoper

13. Februar 2023

Rubrik Oper

©Ashley Taylor / Wiener Staatsoper

Femme fatalistischer kann es kaum noch zugehen, wenn man sich dieser Tage die neue Inszenierung des einaktigen Richard-Strauss-Psychodramas "Salome" an der Wiener Staatsoper ansieht.

 

Mit schockierend gnadenloser Präzisionsarbeit zerlegt der französische Regisseur Cyril Teste das mythologische Spektakel in all seine tiefenpsychologischen Einzelteile und bohrt bis auf den schmerzhaft wunden Punkt einer traumatisierten Salome, die durch Kindesmissbrauch gezeichnet, zu einer höchst gefährlichen Psychopathin mutiert.

 

Wer sich bei dieser Lesart an Exotismus, Erotik und geheimnisvoll verklärender Verführungskunst einer sinnlich-rätselhaften Frauengestalt laben will, ist in dieser Neuinszenierung wahrlich fehl am Platz. Minimalistisch auf den Punkt ausgestaltet und dabei in die Zeit um 1960 verfrachtet, scheint sich die Handlung von einer historiengetreuen Interpretation abzukehren, um sich ganz auf das Psychogramm der einzelnen Akteure zu stürzen.

 

Teste experimentiert dabei mit kinematografischen Elementen und bringt eindeutig zweideutige Momentaufnahmen auf eine Leinwand, die filmisch das eigentliche Bühnenspektakel in überdimensionierter Form verdoppelt.

 

Dabei erschließen sich dem Zuschauer Nahaufnahmen, die auf das zwischenmenschliche Verhältnis der einzelnen Protagonisten abzielen. Und mittendrin im Gewühl der intimen Familienzusammenkunft sieht sich Salome den unanständigen Avancen ihres Stiefvaters Herodes ausgesetzt.

 

Mal wird sie von ihm unsittlich am Bein berührt, dann treffen sie seine Blicke, die belästigend, degradierend und taxierend sind. Es ist der "Male Gaze", der in dieser Szene eindeutig thematisiert wird und die männliche Kontrolle über das weibliche Geschlecht in unserer Gesellschaft symbolisiert. Salome wird zum Objekt dieser prekär stiefväterlichen Begierde, gegen die sie sich zuerst nur mit einem passiv-aggressiven Verhalten erwehren kann.

 

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Erst als Salomes zart aufkeimende Liebe zu Johannes dem Täufer unerwidert bleibt und sie dadurch eine brüske Abfuhr erfährt, brechen alle unterdrückten Hassgefühle auf das männliche Geschlecht und das Patriarchat an die unkontrollierte Oberfläche und kehren sich in einen psychopathischen Wahn mit mörderischem Ausgang um.

 

Salome will den Kopf des Mannes, der sich ihrer Liebe verwehrt, auf einem Silbertablett serviert haben. Mit dieser brutalen männerverachtenden Aktion beabsichtigt Salome ihren Stiefvater Herodes nicht nur zu strafen, sondern auch das Vergehen an ihrer kindlichen Unschuld zu sühnen, denn Rache ist Salomes scheinbar einzig probates Mittel, um ihre ertaubten Emotionen zum sprudelnd lebendigen Siedepunkt hochköcheln zu lassen.

 

Dass der Missbrauch für Teste ein zentraler Dreh- und Angelpunkt innerhalb der Inszenierung ist, wird noch einmal mehr im Schleiertanz deutlich konturierter hervorgehoben.

 

Von einem jungen Alter-Ego gedoubelt, tanzt sich die verjüngte, kindliche Salome in einen Rausch des Vergessens. 

 

Laszive, eindeutig sexualisierte Bewegungsabfolgen, die in unkontrollierten, rhythmisch exzessiven Ausbrüchen münden, lassen eindeutig darauf schließen, dass die traumatisierte Kindsfrau Salome im Tanz ein ausdrucksstarkes Ventil für ihre entgleiste Gefühlswelt sucht.

 

Verstörender wirkt am Ende nur noch die Szene mit dem abgeschlagenen Kopf des Täufers. Während Salome diesen abwechselnd wie eine liebende Mutter schützend im Arm hält, ihn dann wiederum triumphierend an den Haaren in die Luft hebt, wundert man sich kaum noch, dass zu unguter Letzt ein Kuss auf die leblosen Lippen den krönend widerwärtigen Abschluss der bizarren Szenerie bildet.

 

Krankhafter Fantasien bedarf es da wohl kaum noch!

  

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Musikalisch hoch komplex trennt sich bei Richard Strauss´ kompositorischem Geniestreich an diesem Abend wahrlich die Spreu vom Weizen. 

 

Malin Byström, die als Salome nicht zum ersten Mal in dieser Rolle auf der Bühne steht, zeichnet ein relativ abstraktes, nahezu blasses Bild einer Frau, der man mehr temperamentvolle Sinnlichkeit, lodernden Hass gepaart mit einer gefährlich geheimnisvollen Aura zugetraut hätte.

 

Figürlich passt die kühl wirkende Blondine zwar sehr gut in das Konzept einer modernen Interpretation. Dennoch erlangt man den ersten untrüglichen Eindruck, dass sich die Sopranistin nur schwer in ihre Rollendarstellung hineindenken kann. Viel zu unterkühlt, wenn nicht sogar unbeteiligt wirkend, hat die Darstellung der Salome etwas Nüchternes. 

 

Erst nach dem Schleiertanz gewinnt die Sopranistin an Überzeugungskraft. Deutlich dramatischer, emotional saturierter und ausdrucksstärker gelingen auch die gesanglich dynamischen Feinabstufungen. Was stimmlich in der ersten Stunde noch wie ein krasses, undifferenziertes Wechselspiel zwischen Crescendo und Piano anmutet, wird dynamisch zunehmend austarierter und nuancierter.

 

Leider kommt man nicht umhin zu bemerken, dass die exponierten Höhen der Sängerin wenig farbenreich und klangvoll erscheinen, dafür sehr schrill und metallisch gleißend hell in das Auditorium abstrahlen.

 

Das mag für den hysterischen Anteil an der Partie der Salome vielleicht sogar passend erscheinen. Ein Hörgenuss ist es dennoch nicht, zumal die höchst überspannte Musik des Komponisten Richard Strauss sowieso schon an allen Nervenenden zieht und zerrt.

  

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

©Ashley Taylor/ Wiener Staatsoper

©Ashley Tylor / Wiener Staatsoper

Auch Wolfgang Koch, der die Rolle des Jochanaan innehat, überrascht nicht wirklich mit einer eindrucksvollen Interpretation. Mehr passiv als aktiv gestaltet der Bariton seinen überschaubaren darstellerischen Einsatz auf der Bühne. Vielleicht liegt es aber auch an der Inszenierung, dass man der emotionsarmen Szene zwischen Salome und dem Täufer wenig abgewinnen kann.

  

Ganz im Gegensatz zum kaum existenten Rollencharakter verliebt man sich allerdings auf der Stelle in den balsamisch klingenden Bariton Wolfgang Koch. Als einziger Ruhepol in der aufreibenden, elektrisierenden Musik, die wirklich im Wechselbad tonaler Dissonanzen auf Höchstspannung ausgelegt ist, mit den Tonarten Katz und Maus spielt und nur selten wagnerianisch süffige satte Passagen erklingen lässt, wirkt Wolfgang Koch wie ein wohltuender Fels in der Brandung, an dem alles Aufbrausende zart wie Honigperlen abprallt.

 

Ebenfalls großartig in Darstellung und Gesang zeigt sich Gerhard Siegel in der Rolle des Herodes. Darstellerisch famos gibt er den lüsternen Stiefvater Salomes und zeigt sich auch authentisch schockiert, als Salome das schier Unmögliche von ihm verlangt. Eine Frau zum Fürchten ist auch Michaela Schuster in ihrer Paraderolle als Herodias. Mit schepperndem Timbre und Vibrato intensiver Vokalmontur überzeugt das "Vollweib" in niederträchtiger Bösartigkeit sowohl darstellerisch als auch gesanglich.  

 

Kaum nennenswert und dennoch auffallend zeigt sich Patricia Nolz in der Interpretation des Pagen. Am Bühnengeschehen im Hintergrund agierend, erlebt man die österreichische Mezzosopranistin immer mit 100-prozentigem Einsatz bei der Sache. Und ihre Stimme, auch wenn sie an diesem Abend gerade nicht sehr häufig erklingt, ist ein absoluter Hochgenuss.

 

Orchestral wird man gleich von der ersten Sekunde an in einen Sog elektrisierender Schwingungen hineingezogen. Düstere Vorahnungen, spannungsintensive Dynamiken, Dramatik pur und das alles in tonal ekstatische Ergüsse verpackt: Was Richard Strauss mit Salome kompositorisch aufgearbeitet hat, ist ein multifacettenreiches Psychogramm in tonal raffiniertester Formgebung.

 

Dabei meistert Philip Jordan sein Dirigat mit Bravour. Dynamisch immer auf den Punkt, differenziert und emotional vielschichtig temperiert, fiebert man dem Verlauf der Handlung von Note zu Note mit. Insgesamt ist diese Salome ein zum Nachdenken animierendes Psychodrama, das seine Protagonistin nicht als überhöht idealisierte Femme fatale darstellt, sondern sie als fehlgeleitete Frau abbildet, deren kranke Psyche zerstörerische Kräfte entwickelt.


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