Erheiternd theatralische Verwechslungskömodie: Der wildschütz an der Semper Oper

16. Juni 2022

Rubrik Oper

©Matthias Creutziger / Semperoper

Eine Verwechslungskomödie par excellence: Wer "Der Wildschütz" von Albert Lortzing je gesehen hat, weiß, welch verwirrende Verstrickungen sich auf der Opernbühne abspielen können.

 

Die aus dem Jahr 2015 an der Semper Oper etablierte Inszenierung von Jens-Daniel Herzog bringt nach wie vor überschwappend gute Laune, Witz und sprühenden Charme auf das Glatteisparkett der Intrigen spinnenden Maschinerie des bedauernswerten Dorfschullehrs Baculus, der keinen anderen Ausweg sieht, als seine Verlobte Gretchen auf seinen Brotgeber Graf Eberbach anzusetzen.

 

Mit anderen Worten: Der prüde Liebreiz seiner bald Angetrauten soll den Grafen versöhnlich stimmen, seine unvorhergesehene Suspendierung rückgängig zu machen.

 

Baculus nämlich hat in einer Nacht und Nebel Aktion verbotenerweise im Forst des Grafen herumgewildert, um auf seiner Hochzeit einen großen Rehbraten auftischen zu können.

 

Nun steht zu befürchten, dass die Gesellschaft anstatt des saftigen Bratens in der Röhre wohl oder übel in die Röhre gucken muss.

 

Doch ein listiger Plan reift in Baculus heran. Anstelle seines Gretchens lässt er die in kognito als Student anreisende Baronin von Freimann auf seinen schürzenjägerhaften Arbeitgeber los. Soll der junge Bursche ihn doch als Frau verkleidet umgarnen, damit seine Suspendierung möglichst schnell wieder hinfällig wird.

 

©Matthias Creutziger / Semperoper

©Matthias Creutziger / Semperoper

©Matthias Creutziger / Semperoper

Gesagt, getan. Der Deal läuft. Doch genau ab dem Moment wird es kompliziert, die Handlung verdichtet sich, verstrickt sich immer mehr in detailreiche Verästelungen, sodass man Mühe und Not hat, der Geschichte in all ihren Irrungen und Wirrungen zu folgen.

 

Denn da gibt es ja auch noch den Baron Kronthal, der mit der Baronin von Freimann verehelicht werden soll sowie den Stallmeister, der gar kein Stallmeister ist, sondern der Baron Kronthal selbst, der sich wiederum in das falsche Gretchen verliebt und für das echte Gretchen 5000 Taler hinblättern muss, um schlussendlich konsterniert festzustellen, dass ganz konkret eine Verwechslung vorliegt.

 

Welches Gretchen ist denn nun seins? Und wer ist überhaupt die Baronin von Freimann? Und wer zum Kuckuck denn nun mit wem verbandelt?

 

Zum finalen Schlussakt der spritzig pulsierenden Oper, die so viel musikalische Leichtigkeit wie schauspielerische Komik versprüht, löst sich der Verwirrung Rätsel endlich auf. Die Liebenden finden zueinander. Ende gut, alles gut!

 

Oder etwa doch nicht?

 

Was den Dorfschullehrer Baculus anbelangt, scheint nicht alles "Klärchen" zu sein. Mit seinem gesammelten Latein am Ende und auch nervlich durch den Wind muss er erfahren, dass er bei seiner wilden Schützenaktion anstelle des Rehbocks seinen eigenen Esel erschossen hat.

 

Was für eine tragikomische lachsalvenbefeuernde "Tramödie".

 

©Matthias Creutziger / Semperoper

Jens-Daniel Herzog gelingt es ausgezeichnet, szenisch sprühenden Witz und stringent ausgewogenen Unterhaltungscharakter auf die Bühne zu zaubern.

 

Mit liebevoll ausgestalteten Bühnenbildern, die weder verstaubt altbacken noch zu unwirsch aus der nostalgischen Epoche gerissen scheinen, gibt es noch echte Dorfschulen und Lehrer, die rein imaginär mit Rohrstöcken um sich schlagen und dabei so steif und ungelenk wirken, wie sie es dazumal tatsächlich waren.

 

Zur historiengetreuen Vollkommenheit fehlt lediglich das im Auge eingeklemmte Monokel, das auch Georg Zeppenfeld in der Rolle des Baculus vorzüglichst zu Gesicht gestanden hätte.

 

Doch sei es drum. Nicht jedes klitzekleine Detail zählt oder muss auf Biegen und Brechen in das komödiantische Werk hineingepresst werden.

 

Was es tatsächlich braucht, ist das große Ganze, das gesamtbildlich in eine fernere Zeit entführt, in die man sich problemlos hineinversenken, ja, auf die man vielleicht in differenzierter Betrachtungsweise und dennoch mit einem amüsierten Augenzwinkern zurückblicken kann.

 

©Matthias Creutziger / Semperoper

©Matthias Creutziger / Semperoper

Großartige Sängerdarsteller runden an diesem Abend die Spieloper mit ihrer versierten Darstellungskunst ab, allen voran der westfälische Bassist Georg Zeppenfeld, der sich als etwas ungelenker, leicht dümmlich-naiver Dorfschullehrer Baculus auf seinen Rollencharakter 1 A versteht.

 

Vokal tief versunken in die dunkelsamtigen Gefilde seines ausgereiften Vokalinstruments, brilliert das Ensemblemitglied der Semper Oper in einer Glanzrolle, die nicht nur höchst darstellerisches Können, sondern auch ein hohes Maß an Textverständlichkeit erfordert.

 

Sonor mäandert seine Stimme über alle drei Akte ausdauernd, stentorkräftig und mit ruhigem Atem gleichmäßig strömend durch den Abend.

 

Klangsatt, farbenreich, rund, gaumig, ozeanisch tief - alles, was das Herz für eichenfassgereifte Bassstimmen höherschlagen lässt, genau diese vokalen Attribute hält Georg Zeppenfeld in technischer Versiertheit überzeugend und ausdrucksstark bereit.

 

An seiner Seite strahlt das drollige Gretchen alias Katerina von Bennigsen, die sich wie die Unschuld vom Lande einfältig, plump, aber so urkomisch gibt, dass sie mit ihrer spröd naiven Art so manches Mal der Lachmuskulatur des Publikums kräftig einheizt.

 

©Matthias Creutziger / Semperoper

©Matthias Creutziger / Semperoper

Besonders herausragend und mit einem enormen Wiedererkennungswert überstrahlt an diesem Abend neben Georg Zeppenfeld und Joseph Dennis die Sopranistin Nikola Hillebrand in der Partie der Baronin von Freimann das bühnenspektakelige Geschehen.

 

Gleich zu Beginn in einer passgenauen Hosenrolle, burschikos und frech daherkommend, erlebt man Nikola Hillebrand voll und ganz in ihrem Element. Die Bühne ist ihr Ding, das sieht, spürt und hört man.

 

Charmant, frech und humorvoll: Der Rollencharakter der Baronin von Freimann changiert zwischen vielerlei Facetten hin und her und verlangt nicht nur nach gesanglicher Höchstleistung, sondern auch nach schauspielerischer und textverständlicher Brillanz.

 

Genau diese Attribute zaubert die Sängerdarstellerin in jeder sich bietenden Gelegenheit aus dem Ärmel. Kein anderer Kollege der heutigen Cast artikuliert sich sprachlich annähernd so lupenrein wie Frau Hillebrand, dass man jedes einzelne Wort klar und deutlich bis in die hinterletzte Reihe des Parketts vernehmen kann.

 

Und auch sonst schafft es die äußerst biegsame Stimme der Sopranistin scheinbar mühelos über das Ensemble samt Chor hinweg zu singen.

 

Unverkennbar hört man Nikola Hillebrand aus der Masse heraus. Kraftvoll und dennoch fein nuanciert strömt die jugendlich elegante Stimme pinpoint phrasiert und voll schwebender Leichtigkeit klangsatt in schillernste Höhen, nimmt jeden Spitzenton mit duftiger Rafinesse und besticht durch eine ebenso betörend warmgoldene Mittellage.

 

Tenoral schlägt sich der liebestaumelnde Baron Kronthal spitzenmäßig, sitzen doch die Spitzentöne von Joseph Dennis allesamt dort, wo man sie vokal gerne verortet haben möchte.

 

©Matthias Creutziger / Semperoper

©Matthias Creutziger / Semperoper

Hell timbriert und farbenreich fließen die Legati nur so dahin.

 

Mit samtenem Klangschmelz schmachtet der verliebte Baron seinem "falschen" Gretchen hinterher und schauspielert sich so überzeugend in seine Rolle, dass man zuweilen Mitleid mit dem an der Nase herumgeführten Liebestrunkenen bekommt.

 

Erheiternd gestaltet sich auch die Interpretation der Gräfin von Eberbach alias Sabine Brohm, die der griechischen Mythologie verfallen, zu einer Theaterinszenierung im Schloss aufruft. Personal und sämtlicher Hofstaat werden dazu genötigt, sich zu verkleiden.

 

Und so kreuchen und fleuchen Meeresgetier und sonstiges tierisches Allerlei mal hopsend, mal tanzend zur großen Belustigung des Publikums über die Bühne. Überhaupt unterhält diese komische Oper ohne platt, banal oder gar plump zu sein.

 

Am Ende wird es nochmal lustig, heiter und beschwingt und alle stimmen unisono fröhlich in den Chor der laut tönenden Musik ein, die kompositorisch nicht reicher und klangfarblicher sein könnte, dem wundervoll klangmalerischen Dirigat von Johannes Fritzsch sei Dank.

 

Äußerst stimmig kann ich da nur sagen. Das Gesamtpaket macht es eben immer und an diesem Abend nunmal ganz besonders.


Kommentare: 2
  • #2

    Nicole von Operaversum (Sonntag, 10 Juli 2022 22:08)

    Lieber Herr Bittner,

    da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen, da ich Herrn Zeppenfeld nicht persönlich kenne.

    Herzlichst
    Nicole von Operaversum

  • #1

    Alexander Bittner (Donnerstag, 07 Juli 2022 11:00)

    Ist es möglich,einAutogramm vun Herrn Zeppenfeld zu bekommen ??